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Zwischenruf Bush im Fettnäpfchen

Der Versuch der Vereinigten Staaten, die früheren zentralasiatischen Sowjetrepubliken ihrem Einflussbereich einzuverleiben, ist gescheitert. Parallel dazu verstärkte Washington seine Aktivitäten neben Georgien in der Ukraine. Mit der öffentlichen Unterstützung des ukrainischen Wunschs nach einer Mitgliedschaft in der NATO hat US-Präsident George W. Bush in Kiew wieder einmal dorthin getreten, wo er sich am wohlsten fühlt: ins Fettnäpfchen.

Nun ist das mit dem „ukrainischen“ Wunsch so eine Sache. Die Mehrheit der Bürger der einstigen Sowjetrepublik will nämlich gar nicht in die Allianz. Hinter dem Streben nach Eintritt in das westliche Bündnis steht vor allem die umtriebige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Ihr formeller Bündnispartner und faktischer Gegenspieler Viktor Juschtschenko macht eher notgedrungen mit. Nach einem Beitritt würde es keine NATO-Stützpunkte auf ukrainischem Territorium geben, versicherte dieser jüngst besorgten Fragern. Dies verböte die Verfassung. Was schlichtweg Unsinn ist, denn auf der Krim existiert ein Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte.

Hinter dem Westkurs des offiziellen Kiew steht der Wille, die eigenen ökonomischen Interessen militärpolitisch gegen die vor allem im Osten des Landes ansässigen prorussischen Oligarchen um Viktor Janukowitsch abzusichern. Unterstützung kommt neben den USA mit ihrer starken polnischen Lobby vor allem aus Warschau, das seit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus immer wieder versucht, an die zeitweilige Zugehörigkeit der Ukraine zu Polen-Litauen im 16. Jahrhundert anzuknüpfen.

Russland sieht sich bedroht

Russland sieht seine Sicherheitsinteressen bedroht. Mit der Ukraine würde zum ersten Mal eine slawische Ex-Sowjetrepublik einem Pakt beitreten, der Moskau potentiell als Kriegsgegner betrachtet. Im Kontext der US-Pläne zur Stationierung von Teilen des geplanten Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien entsteht aus Sicht des Kreml ein Bedrohungspotential, das es in anderer Form zuletzt nach dem Frieden von Brest-Litowsk 1918 gegeben hatte. Damals verleibten sich Deutschland und Österreich-Ungarn die Ukraine ein. Die Folge: blutige Kriege und Bürgerkriege, an deren Ende vier Jahre später die Gründung der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik stand. Die Kiewer Rus stand am Beginn der russischen Nationwerdung. Eine Zugehörigkeit zur NATO wäre aus dem Blickwinkel Moskaus etwas Ähnliches wie die Lostrennung des Amselfeldes aus dem serbischen Staatsverband.

Berlin und Paris wollen nicht

Die Bundesregierung hat gelernt: Berlin ist sowohl gegen einen raschen Beitritt zur NATO als auch gegen den Raketenschild in Polen und Tschechien. Auch Frankreich ist gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine wie auch Georgiens. Mithin ist nicht zu erwarten, dass sich die Atlantische Allianz auf ihrem bevorstehenden Gipfel im rumänischen Bukarest für die Aufnahme der Ukraine ausspricht. Gleichwohl wird Washington versuchen, das Netz der militärpolitischen Beziehungen zu Kiew enger zu knüpfen. Die Moskauer Reaktionen dürften deshalb nicht weniger harsch ausfallen. Die Palette ist groß: Kürzungen bei den Öl- und Gaslieferungen, militärische Drohgebärden mit den neuen see- und landgestützten Raketensystemen, Unterstützung der Anti-NATO-Bewegung in der Ukraine. Schon jetzt arbeiten Militärexperten aus dem mit Russland in loser Union verbundenen Belarus in Venezuela am Ausbau der dortigen Raketenabwehr mit; Moskau liefert dem linken Regime in Caracas riesige Mengen - konventioneller - Waffen. Mit Blick auf Georgien könnte sich Russland zur „Schutzmacht“ der Separatistenrepubliken Abchasien und Süd-Ossetien erklären. Die immer wieder als „worst case“-Szenario beschworene Abtrennung der Ostukraine von Kiew würde wieder wahrscheinlicher, wenn zunächst auch nur als Wink mit einem Riesenzaunpfahl.

Die Welt würde mit einer weiteren Ostausdehnung der NATO nicht sicherer. Berlin und Paris haben das begriffen. Bushs Washington ist beratungsresistent.

Quelle: ntv.de

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