Kommentare

Zwischenruf Chávez' kapitalistischer Sozialismus

Freude bei den Chavez-Anhängern: Erneut kann sich der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" beweisen. Oder eben nicht.

Freude bei den Chavez-Anhängern: Erneut kann sich der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" beweisen. Oder eben nicht.

(Foto: AP)

Die Linke in Venezuela hat die Präsidenten- und Gouverneurswahlen klar für sich entschieden. Staatschef Chávez und sein Herausforderer Capriles bemühen sich um Mäßigung. Doch die Gesellschaft bleibt gespalten. Die nächsten sieben Jahre werden darüber entscheiden, ob der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" ein Erfolgsrezept wird oder floppt.

Die venezolanischen Medien lagen wieder einmal falsch: Das auch hierzulande vielfach kolportierte Kopf-an-Kopf-Rennen bei den Präsidentenwahlen zwischen Amtsinhaber Hugo Chávez und seinem Herausforderer Henrique Capriles fand nicht statt. Stattdessen hat der sozialistische Staatschef den bürgerlichen Kandidaten mit knapp zehn Prozentpunkten klar auf die Plätze verwiesen. Ausländische Beobachter wie der frühere sozialdemokratische Schweizer Nationalratsabgeordnete, Franco Cavalli, und der einstige eidgenössische Botschafter in Venezuela, Walter Suter, bestätigten einen ordnungsgemäßen Verlauf des Wahltages. Cavalli verwies darauf, dass 80 Prozent der Medien des südamerikanischen Landes regierungskritisch eingestellt sind. Der Vorwurf, die Linken hätten durch die Schaltung sogenannter cadenas, Ketten, die Fernseh- und Hörfunksender gezwungen, Propaganda der Regierung zu senden, mag berechtigt sein. Nur war dies auch schon vor der ersten Wahl von Chávez 1999 so. Auch bei den Gouverneurswahlen obsiegte das linke Lager klar in 20 der insgesamt 23 Bundesstaaten, darunter in den Oppositionshochburgen Zulia und Carabobo sowie im Hauptstadtdistrikt Caracas.

Henrique Capriles unterliegt dem alten und neuen Präsidenten.

Henrique Capriles unterliegt dem alten und neuen Präsidenten.

(Foto: REUTERS)

Mit ihrem Votum entschied sich weit mehr als die Hälfte für einen Kurs, den Chávez und seine Vereinigte Sozialistische Partei (PSUV) als Sozialismus des 21. Jahrhunderts beschreiben. Auf diesem Weg kann das Land unbestritten auf Erfolge verweisen: Große Fortschritte wurden in der Bildung, im Gesundheitswesen und der Versorgung der ärmeren Bevölkerungsschichten gemacht. Gleichwohl ist, wie Chávez selbst zugibt, Venezuela immer noch ein kapitalistisches Land. Die Hilfsprogramme, die dem Staatschef die Unterstützung der ärmeren sozialen Schichten sichern, werden aus den Erlösen der Erdölindustrie finanziert. Beim selbstgesteckten Ziel der wirtschaftlichen Diversifizierung ist Venezuela kaum vorangekommen.

Soziale Probleme lange noch nicht gelöst

Auch wenn Chávez‘ Lager auf die Mittelschichten zugegangen ist, entschied sich deren Mehrheit sich für den Bewerber der Opposition. Erscheinungen von Vetternwirtschaft, die genährt wird durch die Entstehung einer "boliguesia" genannten Funktionärs- und Beamtenschicht, die allseits grassierende Gewaltkriminalität und Dirigismus, bewogen rund sechs Millionen Stimmberechtigte sich gegen Chávez zu entscheiden. Auch die Annäherung des bekennenden Katholiken Chávez an den heimischen Episkopat konnte keinen grundsätzlichen Wandel herbeiführen. Damit bleibt die venezolanische Gesellschaft gespalten. Gleichwohl bemühen sich beide Seiten um Mäßigung. Chávez, der auch gern einmal Verbündeten wie der einflussreichen KP in den Hintern tritt, erklärt, er wolle Präsident aller Venezolaner sein. Capriles, der sich beim Putsch gegen Chávez im April 2002 als Bürgermeister von Caracas Zutritt zur kubanischen Botschaft verschaffen wollte und nichts gegen die anschließende Belagerung der diplomatischen Vertretung unternahm, anerkannte den Sieg seines Gegners und gratulierte ihm.

Mit dem Sieg der Linken hat sich Venezuela und mit diesem die Alternativa Bolivariana para las Américas (ALBA), der Wirtschaftszusammenschluss linksregierter Staaten Lateinamerikas und der Karibik, neue Luft zum Atmen verschafft. Gelöst sind die gravierenden sozialen Probleme damit aber noch lange nicht. Ob dies gelingt, hängt davon ab, den demokratischen Charakter der Transformation zu sichern und Alternativen zur unilateralen Rohstoffabhängigkeit zu schaffen. Reichtum kann auf Dauer nicht nur verteilt werden, sondern muss zwingend auch für den Strukturwandel eingesetzt werden. Auch gilt es, der Verfestigung neuer sozialer Ungerechtigkeiten in Gestalt einer Bonzokratie entgegenzutreten. In Venezuela haben Chávez und die Seinen jetzt weitere sieben Jahre dafür Zeit. Sie werden darüber entscheiden, ob das bolivarische Experiment ein Erfolgsrezept oder ein Flop wird.

Neu_Manfred-Bleskin_Sep12.jpg

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen