Zwischenruf Das falsche Lächeln der Mächtigen
19.06.2012, 14:40 Uhr
Barack Obama im Gespräch mit Chinas Präsident Hu Jintao beim G-20-Gipfel in Los Cabos.
(Foto: REUTERS)
Die G20 streiten wie die Kesselflicker: Gegenseitige Schuldzuweisungen anstelle von gemeinsamen Krisenmanagement. China, Indien und Russland zeigen sich mit Milliardenhilfen für den IWF generös. Washington mag auf die Pauke hauen, das Dirigentenpult ist auf dem Weg nach Peking.
Das Erscheinungsbild der G-20-Staaten auf ihrem Gipfel im mexikanischen Los Cabos spiegelt den Zustand der internationalen Beziehungen und der Weltwirtschaft wider: Statt in der Krise zusammenzurücken, driften Staaten auseinander, die als Mitglieder derselben militärpolitischen Allianz einander eigentlich helfen müssten. Das Wort von der Wertegemeinschaft ist zur Hülse verkommen - es sei denn, man versteht darunter, dass sich alle gemeinsam Sorgen um ihr jeweiliges Geld machen.
Wenn US-Präsident Barack Obama ein Treffen mit allen europäischen Gipfelteilnehmern absagt und sich stattdessen separat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel berät, spricht das Bände. Obama meint zu wissen, wo der Hammer hängt. Zugleich möchte er sich nicht peinlichen Fragen nach der Zielrichtung der eigenen Finanzpolitik aussetzen, die durch Ankurbelung der Notenpresse eigene Probleme - nicht prinzipiell lösen -, jedoch vorübergehend zudecken kann. Auch eine Stellungnahme zum nachgerade kriminellen Agieren der US-Ratingagenturen gegen die Eurozone geht Obama so aus dem Wege.
Merkel und Barroso haben recht
Frau Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso haben recht, wenn sie einseitige Schuldzuweisungen an Europa eine Absage erteilen. Schließlich begann die Misere 2008 mit der Pleite der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers, deren Bonität besagte Ratingagenturen zuvor noch in höchsten Tönen gelobt hatten.
Gleichwohl ist die deutsche Fixierung aufs Sparen der falsche Weg. Auch SPD und Grüne konterkarieren die französische Forderung nach einem Wachstumspaket. Ein rigoroser Sparkurs und ein kräftiges Investitionspaket sind wie Feuer und Wasser.
Zerstrittenheit kennzeichnet trotz der Rückkehr zum deutsch-französischen Begrüßungskuss nicht nur das Verhältnis unter den Euro-Europäern, die den Merkelschen Sparwahn zu Recht als Strangulierung von Sozialsystem und Wirtschaft empfinden. Südkorea und Japan wettern neben den USA am lautesten gegen die von Berlin diktierte Roadmap.
Schritt zur Multipolarität
Das bislang einzige Ergebnis des Treffens sind die Zusagen Chinas, Russlands und Indiens, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) insgesamt 63 Milliarden US-Dollar als Nothilfe zur Verfügung stellen. Allerdings knüpfen die drei Staaten daran die Bedingung, dass ihr Stimmrecht gemäß der Vereinbarungen erweitert wird. Dies wird auch das einzig greifbare Resultat des G-20-Gipfels bleiben. Der Rest sind wie üblich hehre Absichtserklärungen.
Für eines aber wird der Mexiko-Gipfel stehen: Für einen weiteren entscheidenden Schritt hin zur Multipolarität. Die Musik mag noch aus Washington und Brüssel kommen. Die Noten werden in Peking & Co. geschrieben.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist er Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de