Zwischenruf Dem Ziel einen Schritt näher
22.07.2008, 18:12 UhrRadovan Karadzic ist verhaftet. Das ist eine gute Nachricht. Damit wird die Voraussetzung geschaffen, einen der Hauptverantwortlichen für die Verbrechen während des Krieges in Bosnien-Herzegowina seiner gerechten Strafe zuzuführen. Die Verhaftung hätte auch schon früher erfolgen können, doch hatte den vorherigen Regierungen der politische Wille gefehlt. Erst das zu Monatsbeginn ins Amt eingeführte Kabinett von Premierminister Mirko Cvetkovic hatte den Mut
Es entbehrt auf den ersten Blick nicht einer gewissen Ironie, dass die als "proeuropäisch" geltende Koalition aus DS-Demokraten nur mit Hilfe der Sozialisten zustande kam, jener Partei, deren Vorsitzender einst Slobodan Milosevic war. Bei der Beurteilung der jugoslawischen Erbfolgekriege wird gern vergessen, dass Milosevic bereits 1995 mit Karadzic gebrochen hatte, als er dem Friedensabkommen von Dayton für Bosnien-Herzegowina zustimmte. Milosevics Hauptgegenspieler Vojislav Kostunica, lange Zeit Hoffnungsträger des Westens, hingegen blieb Karadzic eng verbunden. Hatten und haben beide doch ihre ideologischen Wurzeln bei den Tschetniks des Zweiten Weltkriegs, die vorrangig Titos kommunistisches Partisanenheer und weniger die nazi-deutschen Besatzer bekämpften. Die Socijalisticka partija Srbije wurde im Westen nicht nur formal, sondern auch inhaltlich als Erbin der serbischen Sektion des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens betrachtet, was sie jedoch kaum war. Nach dem Zerfall des Bundes Anfang 1990 entwickelte sie sich immer mehr zu einem Nationalistenverein.
Heute ist die SPS eine sozialdemokratische Partei, die mit Unterstützung der französischen PS und der griechischen PASOK in die Sozialistische Internationale drängt. Der sozialistische Vizepremier und Innenminister Ivica Dacic verkündete aber mit Rücksicht auf einen Teil der Anhängerschaft seiner Partei, sein Haus habe nichts mit der Verhaftung zu tun. Bleibt die Frage, wer sonst noch in Serbien Polizeigewalt hat, wenn nicht die dem Innenministerium unterstellte Polizei. In jedem Fall dürfte die SPS ihrem Ziel der Anerkennung durch die internationale Sozialdemokratie einen Schritt näher gekommen sein.
Ein Teil der Brüsseler Forderungen erfüllt
Dies gilt auch für Serbiens Ziel einer Annäherung an die Europäische Union. Wenngleich beide Seiten das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen bereits im November vergangenen Jahres unterzeichneten, sollte es nach dem Willen Belgiens und der Niederlande erst dann wirksam werden, wenn es eine "vollständige Zusammenarbeit" mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag gibt. Gemeint war damit die Verhaftung von Karadzic und Ratko Mladic, dem einstigen Generalstabschef der Armee der bosnischen Serben. Insofern ist erst ein Teil der Brüsseler Forderungen erfüllt. Karadzic zu verhaften war - vergleichsweise - einfach, weil dessen Sympathiestern in der heimischen bosnischen Serbenrepublik im Sinken begriffen ist. Mladic hingegen genießt in der Armee Serbiens und bei der 2006 in die gemeinsamen bosnisch-herzegowinischen Streitkräfte eingegliederte früheren Armee der Republika Srpska immer noch ein gewisses Ansehen.
Bleibt abzuwarten, inwiefern sich der Schritt für Serbien lohnt. Schon die für die Verhaftung von Milosevic im April 2001 in Aussicht gestellte US-Finanzhilfe in Höhe von 100 Millionen Dollar war nicht in voller Höhe geflossen. Die im Sommer des Jahres auf der Brüsseler Geberkonferenz zugesicherten 1,3 Milliarden Dollar blieben zum Teil aus, weil - unter anderem - die Auslandsschulden der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien gegengerechnet wurden. Die Verhaftung von Mladic wird nicht zu einem Aufstand der serbischen Armee oder der serbischen Teile der bosnisch-herzegowinischen Streitkräfte führen. Serbien ist dabei, bisherige Positionen peu peu aufzugeben. Dies gilt sogar für die Kosovo-Frage. Erst kürzlich wurden die Botschafter in den Ländern, die die laut UN-Sicherheitsratsresolution 1244 immer noch zu Serbien gehörende Provinz anerkennen, wieder an ihre Einsatzorte zurückbeordert. Die Zeit und die Aussicht auf Geld scheinen viele Wunden zu heilen.
Quelle: ntv.de