Zwischenruf Der Unsinn von Nizza
14.11.2008, 21:31 UhrDie Erkenntnis der gegenseitigen Abhängigkeit habe Russland und die Europäische Union bewogen, den Beschluss über die Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen zu fassen. So heißt es am Ort des EU-Russland-Gipfels im südfranzösischen Nizza vielfach. Das ist so blanker Unsinn. Diese Abhängigkeit bestand schon, als die Sowjetunion selig noch existierte und hat nicht zuletzt zu Helsinki geführt. Auch die Interdependenz im Energiesektor ist keineswegs neu. Sie gilt im Übrigen für ausnahmslos alle rohstoffreichen Länder. Wer über natürliche Ressourcen verfügt, muss sie auch verkaufen. Der Käufer will es warm haben, und der Verkäufer hat es warm, weil er jemanden hat, der kauft. Zweifellos muss der Kreml angesichts der sinkenden Preise für Erdöl und –gas sehen, wo er bleibt.
Aber es war die militärische Reaktion Moskaus auf den Einmarsch Georgiens in dessen abtrünnige Kaukasusprovinzen, die das Land wieder zu einem ernstzunehmenden und zu fürchtenden Faktor gemacht hat. Hinzu kommt die Ankündigung von Präsident Dimitri Medwedew, als Antwort auf den US-Raketen-"Schutzschild" in Tschechien und Polen Kurzstreckenraketen in der Oblast Kaliningrad, an der Grenze zur Europäischen Union mithin, zu stationieren.
Man kann darüber streiten, ob Russland wieder eine Supermacht ist. Eine Großmacht ist es in jedem Fall. Drum haben auch den USA so verbundene Mitgliedsstaaten der Union wie Polen und zuletzt Litauen den Beschlüssen zugestimmt.
Man kann von Frankreichs quirligem ersten Mann sagen, was man will: Durch die von ihm angeregte Delegierung des Raketenstreits auf die Ebene der OSZE hat Nicolas Sarkozy es geschafft, das Problem zunächst einmal vom Tisch zu kriegen. Sarkozy ist ein Schlitzohr: Denn die Helsinki-Nachfolgeorganisation soll nicht nur über die russischen "Iskander"-Flugkörper befinden, sondern auch den "Schutzschild" der Vereinigten Staaten unter die Lupe nehmen.
Langsam, zielstrebig und -sicher – Obama hin, Obama her – ist Paris dabei, die EU zu einem US-Bündnispartner mit neuem Selbstbewusstsein aufzubauen. Mit Russland in der Hinterhand. Das ist die eigentliche Botschaft von Nizza.
Quelle: ntv.de