Zwischenruf Der georgische Knoten
14.08.2008, 17:28 UhrMilitärisch scheint der Konflikt in Georgien beendet. Politisch ist er es noch lange nicht. Eine Rückkehr zum Status quo ante ist unmöglich. Russlands Präsident Dimitri Medwedew sagt, sein Land akzeptiere jede Entscheidung der Südosseten und Abchasen. Eigentlich haben die sich schon zu Beginn der neunziger Jahre entschieden. Nicht für den Anschluss an die Russische Föderation, sondern für die Unabhängigkeit. Die freilich international von niemandem anerkannt wurde, selbst von Moskau nicht. Zu groß ist die Furcht, das Beispiel könnte andere Völker der Region animieren, sich ihrerseits von Moskau loszusagen. Die Tschetschenen, zum Beispiel.
Die in manchen westlichen Denkfabriken favorisierte „Nordzypern-Lösung“ scheidet als Zukunftsmodell aus. Der Schwebezustand birgt unendlich viele Gefahren in sich, wie nicht zuletzt die Lage auf der Mittelmeerinsel immer wieder beweist. Auch russisch-georgische Protektorate scheiden aus. Realistisch hingegen wäre ein „bosnischer Ausweg“. Georgien, Süd-Ossetien und Abchasien würden zu gleichberechtigten Entitäten. So wie die Republika Srpska und die Föderation Bosnien und Herzegowina. Trotz eines formal einheitlichen Staates macht jede Entität eigentlich, was sie will. Die Regierung in Banja Luka arbeitet eng mit Serbien zusammen, die Kroaten der Herzegowina mit Zagreb. Wenn auch alles andere als eine Erfolgsgeschichte, bietet dieses fragile Konstrukt ein Mindestmaß an politischer und militärischer Stabilität.
Entscheidend für die Entwicklung Georgiens – in welch konkreter Staatsform auch immer – aber ist die wirtschaftliche Entwicklung. Südosseten und Abchasen tendieren nicht nur wegen des georgischen Nationalismus zu Russland, sondern weil dieses ihnen bestimmte ökonomische Vorteile bietet. Die Hinwendung zum großen Nachbarn im Norden ist nicht zufällig in dem Maße immer stärker geworden, in dem dieser wirtschaftlich immer kräftiger wurde.
Der Westen, allen voran die USA, haben zwar alles darangesetzt, Georgien militärisch zu einem antirussischen Vorposten einschließlich der perspektivischen Aufnahme in die NATO auszubauen. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit hingegen blieb weit dahinter zurück. Georgien litt unter dem Zerfall der Sowjetunion wirtschaftlich vergleichsweise mehr als andere frühere Sowjetrepubliken. Präsident Michail Saakaschwili setzte zwar einen Liberalisierungsprozess in Gang, der höhere Steuereinnahmen und einen Zuwachs an ausländischen Direktinvestitionen, weiten Teilen der Bevölkerung jedoch keinen Vorteil brachte. Fast 40 Prozent der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze, rund 13 Prozent gar in extrem ärmlichen Verhältnissen. Von einer Demokratie westlicher Bauart ist Georgien unter Saakaschwili ungefähr ebenso weit entfernt wie Russland unter dem Gespann Putin/Medwedjew.
Eine Beruhigung der Lage mit einem Saakaschwili in Tiflis an der Spitze scheint kaum möglich. Russland, Süd-Ossetien und Abchasien lehnen lautstark Gespräche mit dem einstigen US-Erdöl-Lobbyisten ab. Auch im Westen sind, wenngleich leiser, Zweifel an dessen Zuverlässigkeit zu vernehmen. Amtsvorgänger Eduard Schewardnadse, alles andere als moskaufreundlich, kritisiert ihn in scharfer Form. Wie groß die Unzufriedenheit der Georgier selbst ist, kann im Moment nicht genau bestimmt werden. Aber es mehren sich die Stimmen, die ihn nicht mehr den Hoffnungsträger sehen, nicht zuletzt wegen des Einmarschs in Südossetien und dessen Folgen.
Trotz der Unterstützung durch Präsident George W. Bush sind auch aus Washington Zweifel an der Glaubwürdigkeit seines Ziehkinds zu hören. Wie anders ist das umgehende Dementi des Pentagon zu verstehen, nachdem Saakaschwili verkündet hatte, US-Truppen würden im Zuge der humanitären Hilfsmaßnahmen auch die Kontrolle über die See- und Flughäfen seines Landes übernehmen? Bundeskanzlerin Angela Merkel wird bei ihrem Treffen am Freitag mit Medwedjew ihre Solidarität mit Georgien verkündet. Sie wäre gut beraten, diese nicht explizit auf seinen Präsidenten zu beziehen. Der georgische Knoten kann im Unterschied zum gordischen nicht zerschlagen werden. Es kann nur behutsam aufgebunden werden.
Quelle: ntv.de