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Zwischenruf Die Mafia von Prag

Nečas muss sich mit großer Wahrscheinlichkeit einen neuen Job suchen.

Nečas muss sich mit großer Wahrscheinlichkeit einen neuen Job suchen.

(Foto: dpa)

Nach dem Rücktritt des tschechischen Ministerpräsidenten Nečas wegen schwerster Korruptionsvorwürfe, erreicht die Regierungskrise einen vorläufigen Höhepunkt. Beendet ist sie nicht. Im Gegenteil: Bewahrheiten sich die Vorwürfe, wäre dies der größte Politskandal der tschechischen Geschichte.

Mit dem Rücktritt von Premierminister Petr Nečas erreicht die seit Monaten schwelende Regierungskrise ihren vorläufigen Höhepunkt. Beendet ist sie damit keineswegs. Zu Ende geht nur die politische Karriere des 49-jährigen studierten Physikers. Die Vorwürfe gegen ihn und seine mit ihm verbandelte Kabinettschefin Jana Nagyová stinken zum Himmel. Nagyová soll den Heeresnachrichtendienst beauftragt haben, die Ehefrau ihres Chefs zu bespitzeln. Sie sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft. Mit ihr einige Generäle und Geheimdienstmitarbeiter. Die Polizei fand bei der Razzia mehr als fünf Millionen Euro in bar, dazu kiloweise Gold. Das Szenario erinnert an einen Mafiafilm. Bestechungsfälle en gros sind noch das Geringste.

Jana Nagyová sitzt bereits in U-Haft.

Jana Nagyová sitzt bereits in U-Haft.

(Foto: AP)

Staatspräsident Miloš Zeman hatte Nečas‘ Rücktrittsgesuch am Montagabend angenommen. Als Vorsitzender der stärksten Regierungspartei ODS hatte Nečas‘ bereits am Sonntagabend das Handtuch geworfen. Als möglicher Nachfolger gilt ODS-Vize Martin Kuba. Sollten sich die Koalitionspartner, unter ihnen die von Adelsspross und Außenamtschef Karel Schwarzenberg aus dem Boden gestampfte rechtsliberale Partei TOP 09, auf Kuba einigen, kann das Regierungsbündnis gerettet werden. Schwarzenberg liebäugelt aber auch mit vorgezogenen Neuwahlen, wie von Sozialdemokraten und Kommunisten gefordert. Die Liberaldemokraten der LIDEM-Partei, die die Dritten im Koalitionsbunde sind, werden sich in jedem Fall fügen, denn bei Neuwahlen dürften sie es nicht mehr ins Parlament schaffen. Sie stellen derzeit sechs Abgeordnete. In Prag kursiert der Witz, wenn LIDEM einen Parteitag abhält, reicht ein Sechsertisch in einem Café.

Selbstauflösen kann sich das Parlament nur, wenn eine Dreifünftelmehrheit von 120 Deputierten zustande kommt. Die Stimmen von sozialdemokratischer ČSSD und kommunistischer KSČM allein reichen nicht. Alles hängt nun von Schwarzenbergs TOP 09 ab, der übrigens auch in dunkle Geschäfte mit dem Hersteller des beliebten Kräuterschnapses "Karlovarska Becherovka", bei uns bekannt als "Karlsbader Becherbitter", verwickelt sein soll.

Selbst wenn das Kunststück gelingen sollte und die ODS-TOP 09-LIDEM-Koalition überlebt, bleibt die politische Lage in unserem südlichen Nachbarland instabil. Ein vorzeitiger Zerfall der Koalition wäre denkbar. Doch die Minister haben sich an ihren Sesseln festgeklebt, wie ein tschechischer Gesprächspartner in Prag sagte. Aus diesem Grunde hätte das Regierungsbündnis bereits fünf Misstrauensvoten überstanden. Reguläre Neuwahlen stehen im Mai an. Der Urnengang soll zeitgleich mit dem zum Europäischen Parlament und den heimischen Kommunalwahlen stattfinden. Im Superwahljahr 2014, wie man auch an der Moldau sagt, könnten die Sozialdemokraten stärkste Kraft werden. Parteichef Bohuslav Sobotka wäre bereit, seine Regierung von der KP tolerieren zu lassen, sollte diese ihre Forderung nach einem Austritt aus der NATO aufgeben. Die Kommunisten sind die einzige Partei, die bei jüngsten Umfragen zugelegt hat. Auf regionaler und kommunaler Ebene arbeiten beide schon munter zusammen. Der Tschechischen Republik stehen turbulente Zeiten ins Haus.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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