Zwischenruf Die Welt hofft mit
04.11.2008, 13:40 UhrNach acht Jahren ungehemmtem Neoliberalismus und militarisierter Außenpolitik hinterlässt der scheidende US-Präsident George W. Bush einen Scherbenhaufen: Die weltweite Finanzkrise nahm ihren Ausgang in den USA, die Militärausgaben haben zu einem beispiellosen Haushaltsdefizit von 455 Milliarden Dollar beigetragen, jeder fünfte Arbeitsplatz fällt unter "working poor". Die weltweiten Militäreinsätze stecken in einer Sackgasse; der "Krieg gegen den Terror" wurde zum Ausgangspunkt für Menschenrechtsverletzungen nach innen wie nach außen: Telefon-, Computer- und Kameraüberwachung, Folter in Abu Ghreib und Guantnamo Bay, illegale Gefängnisse in mittel- und osteuropäischen NATO-Staaten.
Der Ruf nach "change", nach Veränderung, hat den Wahlkampf sowohl des Demokraten Barack Obama wie des Republikaners John McCain beherrscht. Die Erwartungshaltung an den nächsten US-Präsidenten ist größer als nach der Ära Nixon oder dem Ende des Vietnamkriegs.
Die Mehrheit der US-Amerikaner hofft auf eine spürbare Verbesserung der Lebenslage. Immer noch sind 45 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung. McCain will alles lassen wie es ist, Obama verspricht staatliche Zuschüsse. Eine Versicherungspflicht aber soll es nur für Kinder geben. Die meisten Wähler sind kriegsmüde. Überzeugende Modelle für eine Beendigung der Einsätze im Zweistromland und am Hindukusch hat Obama nicht zu bieten. Aus seinem ursprünglichen Versprechen, die Truppen aus dem Irak binnen 16 Monaten abzuziehen, ist ein nebulöser Rückzugsplan ohne Datum geworden. McCain will die Truppen an Euphrat und Tigris verstärken, Obama noch mehr Truppen nach Afghanistan entsenden.
Die Europäer setzen bei beiden darauf, aus der transatlantischen Einbahnstraße eine Autobahn zu machen. Beide Weißhausaspiranten wollen, verlangen aber zugleich ein stärkeres militärisches Engagement im Irak respektive Afghanistan. Eine Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Finanzkrise ist für die EU ein "sine qua non". Bislang gibt es von beiden – zwar unterschiedliche – Vorstellungen für eine Wiederbelebung der Wirtschaft in den USA. Konzeptionen für ein globales Vorgehen jedoch sucht man vergebens.
In Sachen Klimawandel und Umweltschutz spricht sich Obama für Emissionshandel aus, McCain denkt darüber nach. Beide sind im Unterscheid zur Bush-Administration für ein Kyoto-Nachfolgeabkommen, lassen aber nicht erkennen, ob sie dem eigentlichen Kyoto-Protokoll zustimmen. Aus der Ablehnung der umstrittenen Ölbohrungen an den US-Küsten wurde bei Obama Zustimmung.
Die islamische Welt erhofft sich von Obama, dass die Vereinigten Staaten im Nahostkonflikt endlich die zugesicherte Rolle des "ehrlichen Maklers" übernehmen. Doch ist zu befürchten, dass der Senator aus Illinois den pro-israelischen Kurs fortsetzt, allein schon, um sich wegen seiner muslimischen Wurzeln des Vorwurfs einseitiger Sympathien zu erwehren. Synagogen haben Obama und McCain während des Wahlkampfs besucht. Aber Moscheen?
Afrika blickt erwartungsvoll über den Atlantik. Nicht nur, weil Obamas Vater Kenianer war. Aber auch. Die US-Politik gegenüber dem Schwarzen Kontinent konzentriert sich auf die Schaffung militärischer Gegenpol zur Investitionsoffensive Chinas mit dem Ziel der Sicherung der eigenen Rohstoffversorgung, das soziale Engagement rangiert auf hinteren Rängen.
Wenn es um "change" geht, ist Obama zweifellos der Glaubwürdigere von beiden. Er steht Washingtons Establishment weitaus ferner als McCain, der sich trotz einiger Widerborstigkeit zur konservativen Tradition der Republikaner bekennt. Doch auch Obama hat in dem mit einer Milliarde Dollar weltweit teuersten Wahlkampf aller Zeiten seine Spenden nicht nur von den kleinen Leuten erhalten. Konzerne sind angehalten, für Leistungen auch Gegenleistungen einzufordern.
Im Falle eines Wahlsiegs von Obama hat eine Veränderung in der Stimmung unter der Bevölkerung, die Schaffung eines neuen Vertrauens die besten Chancen. Obama sollte dies nutzen. Tut er es nicht, gerät er über kurz oder lang in die Fänge der so genannten Sachzwänge, die ihn schon im Wahlkampf zur Aufgabe von Positionen trieben. Sollte McCain den ersten Platz belegen, besteht die Gefahr, dass sich die Enttäuschung in einer Welle der Gewalt Luft macht. Eine schwere innenpolitische Krise wäre das Letzte, was die Vereinigten Staaten und die Welt im Moment brauchen.
Quelle: ntv.de