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Zwischenruf Die russische KP: Wolf im Schafspelz?

Der Saal im Sitz der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DAGP) im Berliner Tiergarten war bis auf den letzten Platz besetzt, im Vorraum mussten zusätzlich Stühle aufgestellt werden, viele standen. Insgesamt waren gut 200 Personen gekommen, um Gennadi Andrejewitsch Sjuganow, den Vorsitzenden der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation, zu hören.

Gennadi Andrejewitsch Sjuganow, Vorsitzender der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF),

Gennadi Andrejewitsch Sjuganow, Vorsitzender der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF),

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Wer einen polternden Betonkopf erwartet hatte, als der Sjuganow häufig dargestellt wird, wurde angenehm enttäuscht. Der 1944 in der südwestrussischen Oblast Orjol Geborene, studierter Mathematiker und promovierter Philosoph, sprach wohlformuliert, ausgewogen und dialogbereit. Er legt Wert darauf, dass die vorderen Plätze der Kandidatenliste seiner Partei für die Wahlen zur Staatsduma, die im Dezember stattfinden, mit Intellektuellen, Wirtschafts- und Sicherheitsexperten besetzt sind.

Eigenes russisches Gesellschaftsmodell

Sjuganow kann jüngsten Umfragen zufolge auf 17 bis 25 Prozent der Wählerstimmen hoffen. Damit würde sich die Zahl der kommunistischen Abgeordneten im russischen Parlament von derzeit 57 auf 85 erhöhen. 6 Prozent der knapp 143 Millionen Menschen des Landes sehen sich demnach als aktive Anhänger der Kommunisten. Der Kreml-Partei "Geeintes Russland" hingegen werden spürbare Verluste in Höhe von neun Prozentpunkten vorausgesagt. Gleichwohl dürfte sie, so auch Sjuganow, stärkste Partei im Parlament bleiben. Großen Wert lege er auf die Anwesenheit von Wahlbeobachtern, auch aus dem Ausland, sagte er bei seinem Auftritt in Berlin. Seine Partei bilde derzeit mehrere zehntausend Mitglieder und Sympathisanten zu Wahlbeobachtern aus. Auch seine Gesprächspartner von SPD und Linken habe er um die Entsendung von Wahlbeobachtern gebeten. Allein beim letzten Urnengang habe es 10.000 Verstöße gegen das Wahlgesetz gegeben; Wahlbetrug zugunsten der Kreml-Partei sei gang und gäbe. Staatpräsident Dimitri Medwedew hatte sich erst vor ein paar Tagen abermals strikt gegen die Anwesenheit ausländischer Wahlbeobachter gewandt.

Befragt nach dem Gesellschaftsmodell der russischen KP, sagte Sjuganow, seine Partei trete für gemischte Eigentumsformen ein, was selbstverständlich auch privates Eigentum an Produktionsmitteln einschließe. Er sei beeindruckt, wie es die chinesischen Kommunisten geschafft hätten, mehr als einer halbe Milliarde Menschen aus der Armut und zu Wohlstand zu verhelfen. Seine Partei wolle aber weder das "chinesische Modell" noch die Konzeptionen der westeuropäischen Sozialdemokratie kopieren, sondern einen eigenen, russischen Weg gehen. Für eine neue Wirtschaftspolitik sei mehr staatliche Regulierung erforderlich.

Besonderen Wert legte Sjuganow auf die Verbesserung der sozialen Lage der Bevölkerung und die Bekämpfung der, wie er sagte, allgegenwärtigen Korruption. Es sei verwunderlich, dass so viele Minister und andere Führungskräfte nur ihre Bezüge versteuerten, deren Frauen aber häufig Millionäre wären. Er unterstützte den Vorschlag von Ministerpräsident Wladimir Putin zur Bildung einer Eurasischen Union. Zu Deutschland, das er liebe und kenne, müsse sein Land enge Beziehungen unterhalten. Sjuganow, der Wolf im Schafspelz? Der wiederholte Beifall während des Vortrags und der Schlussapplaus zumindest sprechen dagegen. Es sei denn, Sjuganow hatte sich außerordentlich gut getarnt.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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