Zwischenruf Dreistigkeit der Konzerne
31.05.2008, 14:06 UhrDie Dreistigkeit von immer mehr Konzernen nimmt beängstigende Formen an: Bei VW flossen Gelder, um Gewerkschaftsbosse gefügig zu machen. Bei Siemens wurde geschmiert, dass die Heide wackelt, um Geschäftpartner zu bestechen. Bei der Post nimmt's der Chef mit den Steuern nicht so genau. Bei Lidl und anderen Supermarktketten wurden Mitarbeiter(innen) per Kamera bis auf die Toilette verfolgt. Bei der Telekom schließlich scherte man sich einen Teufel um Datenschutz und bespitzelte je nach Gusto mal die eigenen Vorstandsmitglieder, mal Journalisten. Fast immer war's eigentlich gar nicht so gemeint, hatten Einzelne ihre Kompetenzen überschritten. Auch der Chef wusste meist nicht Bescheid. Die Ausreden erinnern fatal an die Schüler, die den Unterrichtsstoff nicht beherrschen, weil sie gerade Kreide holen waren, als der Lehrer das Thema durchnahm.
In Ministerien sitzen Vertreter von Unternehmen und Industrieverbänden, die den Beamten die Gesetzentwürfe in die Feder diktieren. Die Millionenbezüge vieler Vorstände stehen in keinem Verhältnis zu den Leistungen ihrer Angestellten, ohne die gute Unternehmensergebnisse nun einmal nicht möglich wären. Wie ließ Brecht seinen lesenden Arbeiter fragen: "Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?"
Wo ist der Staat?
Selbstbedienungsmentalität und Schamlosigkeit greifen immer mehr um sich. Der Staat reagiert, wenn überhaupt, a posteriori. Die Konzerne nehmen ihn einfach nicht ernst: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble beruft wegen der Telekomaffäre einen Krisengipfel ein. Die Riesen der Branche geben ihm einen Korb.
Schuld daran ist nicht zuletzt der Staat selbst. Hat nicht der Innenminister selbst bis vor kurzem jeden Tag einen neuen Überwachungsvorschlag gemacht? Haben nicht die Großkoalitionäre nicht gerade noch so die Kurve gekriegt bei der Diätenerhöhung? Durch seine Privatisierungswut gibt der Staat immer mehr Bereiche frei, in denen sich die neuen Eigentümer und/oder deren Verwalter frei von jedweder Kontrolle fühlen.
Ob sich die Teilprivatisierung der Bahn, die so mancher in Union und FDP nur als ersten Schritt zur Vollprivatisierung begreift, nicht als Bumerang erweist, bleibt abzuwarten. Was will der Bund, was die Länder machen, wenn die künftigen 24,9-Prozent-Besitzer auf Schließung "unrentabler", aber für eine Region unerlässlicher Verbindungen, drängen? Briten und Neuseeländer jedenfalls haben bittere Erfahrungen gemacht und mit Rückkauf die Notbremse gezogen. Bezahlt hat es der Bürger.
"Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; ..." (Lukas 10, 30-35). Der barmherzige Samariter Staat darf kein Pharisäer werden.
Quelle: ntv.de