Zwischenruf EU setzt falsches Signal
19.10.2012, 16:29 Uhr
In der syrischen Stadt Haram nahe der türkischen Grenze explodieren Granatwerfer.
(Foto: REUTERS)
Die Spitzen der 27 EU-Mitgliedsstaaten haben sich im Syrienkonflikt hinter die Türkei gestellt. Eine Initiative zur Einberufung einer internationalen Friedenskonferenz hätte besser zur Friedensnobelpreisträgerin EU gepasst.
Es verwundert kaum, dass die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem jüngsten Treffen in Brüssel die Syrienpolitik des Beitrittskandidaten Türkei unterstützten. Falsch ist dies trotzdem. Ankara hat sich mit seiner unilateralen Unterstützung der Aufständischen auf die Seite eines Partners geschlagen, der den Bürgerkrieg nur gewinnen kann, wenn seine Verbündeten militärisch intervenieren. Ein Einmarsch der Türkei, Saudi-Arabiens und/oder Katars würde zu einer bewaffneten Antwort des Iran und der libanesischen Hisbollah führen und kann folglich weitestgehend ausgeschlossen werden. Für den Fall der Fälle hat die Hisbollah israelischen Quellen zufolge schon immer einmal eine Batterie S-400 in das syrische Grenzgebiet zur Türkei in Stellung gebracht. S-400 steht für ein Langstrecken-Boden-Luft-Raketen-System zur Bekämpfung von Kampfflugzeugen und Marschflugkörpern. S-400 kann auch Kurz- und Mittelstreckenraketen abfangen.
Feinde hinter jeder Ecke
Die Türkei hat die Politik der Umarmung arabischer Potentaten ebenso wetterwendisch aufgegeben, wie sie sie begonnen hatte. Auch Libyens Muammar al-Gaddafi und Syriens Baschar al-Assad gehörten einst zum Kreis der Duzfreunde von Premierminister Recep Tayyip Erdogan. Statt Freundschaft oder wie immer man diese Zweckbündnisse nennen will, weht der Türkei nun in ihrem Südosten an allen Ecken und Enden Feindschaft entgegen: Armenien, der Iran, Syrien und der Irak sind Ankara alles andere als herzlich verbunden.
Das gilt auch für den kurdischen Norden des Irak und die Kurdengebiete im Nordosten Syriens. Von den überwiegend von Kurden bewohnten Regionen Anatoliens ganz zu schweigen. Dort toben die seit langem heftigsten Kämpfe mit der PKK-Guerilla. Statt sich hinter die heillos in bewaffnete und nichtbewaffnete Konflikte mit Nachbarn oder Staatsbürgern verstrickte Regierung Erdogan zu stellen, sollte sich die EU für Frieden in der Region einsetzen. Das bedeutet zuvorderst, in Syrien einen Kompromiss zwischen Rebellen und Regime herbeizuführen.
Al-Kaida-affine Gotteskrieger
Der Vorstoß des UN-Sonderbeauftragen Lakhdar Brahimi, mit Beginn des islamischen Opferfestes in der kommenden Woche die Waffen ruhen zu lassen, weist in die richtige Richtung. Doch selbst wenn eine Vereinbarung zustande kommt, ist nicht sicher, dass kein Schuss fällt. Syrischer Nationalrat und Freie Syrische Armee als Hauptkräfte der Opposition haben keine Kontrolle über die Al-Kaida-affinen "Gotteskrieger". Unterschiedlichen Angaben zufolge sind bis zu 5.000 Kämpfer der bewaffneten Assad-Gegner militante Islamisten.
Die Gesamtzahl der Rebellen wird mit 30.000 bis 40.000 angegeben. Die werden sich einen Scheitan um einen Waffenstillstand scheren. Ähnlich verhält es sich auf der anderen Seite mit den regimetreuen Schabiha-Milizen. Eine internationale Friedenskonferenz unter Einschluss aller Konfliktparteien und ihrer jeweiligen Verbündeten sowie der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats erscheint als einzige Möglichkeit, einen Ausweg aus dem Chaos zu finden. Ein solcher Vorschlag hätte der Friedensnobelpreisträgerin EU besser zu Gesicht gestanden als die einseitige Unterstützung der Türkei, die zudem in der Nato den Bündnisfall heraufbeschwört.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de