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Zwischenruf Ein Mann für alle Fälle

Parteifreunde: Kommissionspräsident Barroso und Kanzlerin Merkel.

Parteifreunde: Kommissionspräsident Barroso und Kanzlerin Merkel.

(Foto: dpa)

Spannungsfrei war die Einigung auf einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission in den letzten Jahren nie. So scharfe Auseinandersetzungen wie jetzt aber gab es selten. Der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz als Wortführer der Gegner einer erneuten Kandidatur des Portugiesen José Manuel Durão Barroso hat zweifellos Recht, wenn er dem Liberalkonservativen eine eine schlechte Bilanz seiner Amtszeit bescheinigt.

Aber welche Amtszeit eines Kommissionspräsidenten war denn eine durchgängige Erfolgsgeschichte? Man erinnere sich an den Édith-Cresson-Skandal, über den Jacques Santer stürzte, oder die bestürzende Hilfslosigkeit eines Romano Prodi. Eigentlich brauchte die Kommission einen starken und erfahrenen Europäer. Doch die Mehrheit der Staats- und Regierungschef braucht das Gegenteil. Einen, der alles gut findet, stets lächelt, immer zum Abnicken bereit ist und nie im Wege steht. Ein Job, für den Durão Barroso wie geschaften ist. Der einst aktive Maoist ... ein Mann für alle Fälle: Gestern Freund von George W. Bush, heute begeisterter Barack-Obama-Anhänger. Einer, der stets die Kurve kriegt. Der Luxemburger Jean-Claude Juncker weiß, warum er nie für den Posten kandidieren wollte.

Dass die lautesten Fanfaren gegen Durão Barroso aus der SPD ertönen, ist dem deutschen Bundestagswahlkampf geschuldet.

Ein Erfolg Schulz' in Straßburg/Brüssel, so die Hoffnung, könnte den Sozialdemokraten daheim etwas Auftrieb geben. Aber auch Getöse reicht. Schulz weiß, dass er auch mit Grünen, einem Teil der Liberalen und den Linken keine Mehrheit gegen den Amtsinhaber zustandebringt. Die Staats- und Regierungschefs waren in seltener Eintracht für Durão Barroso, darunter auch die Ministerpräsidenten Portugals und Spaniens, die beide Sozialisten sind. Es ist so gut wie sicher, dass die Eurodeputierten von PS und PSOE es ihnen gleichtun. Die Unterstützung der konservativ-christdemokratischen Europäischen Volkspartei und eines Teils der Liberalen ist Durão Barroso ohnehin sicher. Allerdings wird er auf die Voten von Euroskeptikern wie den britischen Torys und ausgesprochener EU-Feinde wie die nationalkonservativ bis faschistoide "Allianz für ein Europa der Nationen" angewiesen sein. Dieser Makel wird Durão Barroso anhaften.

Wie sagte dessen Landsmann und Literaurnobelpreisträger José Saramago jüngst: Politiker rechnen mit der Vergesslichkeit der Wähler. Durão Barroso hat einen doppelten Vorteil: Er hat gar keine Wähler, und die, die ihn erneut auf den Posten hieven, verzeihen ihm ohnehin alles.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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