Kommentare

Zwischenruf Einsicht kommt zu spät

Was symbolisiert der symbolische Spatenstich, mit dem Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung im nordafghanischen Masar-i-Sharif den Bau einer neuen Start- und Landebahn eingeleitet hat? Der CDU-Politiker spricht von einem Impuls sowohl für die Wirtschaft als auch für die Sicherheit des Landes. In der Nähe der Stadt unterhält die Bundeswehr unter der Bezeichnung Camp Marmal ihren mit 2.000 Mann größten Auslandsstützpunkt. Zunächst dürfte die 30 Millionen Euro teure Piste also militärisch relevant sein. Ob sie ökonomisch bedeutsam werden kann, ist zweifelhaft. So fraglich, wie der Erfolg der bisherigen Afghanistan-Strategie der Großen Koalition, die weder die Taliban noch andere islamistische Kräfte zurückgedrängt hat. Im Gegenteil. Der Krieg hat sich auf Pakistan ausgeweitet, die "Koranschüler" sind heute auf rund 70 Prozent des afghanischen Territoriums aktiv, auch dort, wo die Bundeswehr das Sagen hat. Funktionierende Hilfsprojekte sind allenfalls lokale Leuchttürme ohne landesweite Wirkung.

Kein abgestimmtes Vorgehen

Das liegt nicht zuletzt daran, dass es kein abgestimmtes Vorgehen der am Hindukusch präsenten westlichen Staaten gibt. Die USA haben auf allein militärische Gewalt gesetzt, Deutschland auf eine Kombination aus bewaffneter Präsenz und Aufbauhilfe, die aber - auch - durch Übergriffe und Fehltritte von Soldaten von vielen als Besatzung empfunden wird. Es ist bezeichnend, dass die Ankündigung von US-Präsident Barack Obama Gespräche mit "gemäßigten Taliban" führen zu wollen, offenbar ohne Konsultation mit Berlin erfolgte, das nach den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich das drittgrößte Truppenkontingent stellt. Wenn Obama aber parallel dazu die Einheiten in Afghanistan um bis zu 30.000 Mann aufstocken will, stellt dies die Glaubwürdigkeit seines Gesprächsangebots in Frage.

Die Taliban haben die Offerte erwartungsgemäß abgelehnt. Die Position ist unverändert: Verhandlungen erst nach Abzug aller ausländischen Truppen. Nun hätte Obama seine Idee nicht öffentlich gemacht, wenn nicht die seit spätestens 2007 geführt Geheimgespräche Anlass zur Hoffnung gäben.

Taliban heute

Doch was sind die Taliban heute? Die Kräfte um Mullah Omar allein sind es nicht. Durch den Zusammenschluss von Islamisten aus Kaschmir mit radikalmuslimischen Gruppen aus dem einst sowjetischen Zentralasien und dem arabischen Raum ist eine neue, Tehrik-i-Taliban Pakistan genannte, Organisation entstanden, die sowohl dort als auch in Afghanistan aktiv ist. Eine neue Generation von Aufständischen also, die organisatorisch nicht in traditionelle Strukturen eingebunden ist. Ob alles, was sonst noch unter Taliban subsumiert wird, hierarchisch Mullah Omar untersteht, ist strittig. Neben den Taliban existieren zudem noch andere islamistische Kräfte, wie die Hizb-e Islami von Gulbuddin Hekmatyar, der in der ersten Hälfte der 90er Jahre Premierminister war. Und da ist dann noch der Einfluss der Islamisten in der Regierung von Präsident Hamid Karzai selbst, unter deren Stiefeln zarte demokratische Pflänzchen immer wieder zertreten werden.

Wenn Obama auf Stammesführer zielt, kann er partiell siehe Zentralirak durchaus erfolgreich sein. Dort wurden sunnitische Aufständische schlicht und einfach gekauft. Mit Einmalzahlungen ist es aber dort wie in Afghanistan nicht getan. Sonst werden aus Verbündeten wieder Gegner. Schließlich war auch ein Osama bin-Laden einmal Alliierter der USA.

Die Lage ist vertrackt. Auch die bevorstehenden Präsidentenwahlen werden kaum mehr Stabilität bringen. Die 30 Millionen für die neue deutsche Start- und Landebahn dürften langfristig also buchstäblich in den Sand des Camp Marmal gesetzt sein. Denn ohne eine Einbeziehung der Taliban und aller anderen islamistischen Kräfte ist eine Befriedung Afghanistans nicht möglich. Dann ist die Piste militärisch für Deutschland bedeutungslos. Einen vermeintlichen wirtschaftlichen Impuls wird der Sand des Hochlandes zudecken.

Nicht nur insofern kommt die Einsicht Obamas zu spät.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen