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Zwischenruf Erdogans Fauxpas

Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan hat mit seiner Aussage über die Assimilation als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" einen unsäglichen Fauxpas begangen. Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis, von etwa 500.000 Serben durch die kroatischen Ustascha-Faschisten und nicht zuletzt von mindestens 300.000 Armeniern durch jungtürkische Soldateska. Anderen Angaben zufolge wurden in den Jahren 1915 bis 1917 1,5 Millionen der ältesten christlichen Nation der Welt getötet. Dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit als solches anzuerkennen ist das offizielle Ankara bis auf den Tag nicht bereit. Vor diesem Hintergrund stellen die Äußerungen Erdoans mehr dar als nur einen sprachlichen Missgriff.

In Deutschland leben knapp 2,4 Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Weit mehr als 400.000 von ihnen haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Geschätzte 260.000 besitzen sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft. Sie sind Unternehmer, Angestellte, Arbeiter und Arbeitslose. Sie leisten auf unterschiedliche Weise ihren Beitrag zum Gemeinwesen. Manche leben auch davon. Kurzum: Sie sind von ihrer sozialen Lage her nicht anders als die Deutschen. Wenn Erdoan hier zu Abgrenzung aufruft, geht er nicht nur aus parteiegoistischen Gründen auf Wählerstimmenfang. Er schadet diesen Menschen, die sich in einer ihnen nicht immer freundlich gesinnten Umwelt behaupten müssen.

Höchst komplizierter Prozess

In Deutschland vollzieht sich ein höchst komplizierter Prozess türkischer Integration. Das Ergebnis ist nicht absehbar. Steht am Ende eine ethnische Minderheit, die ähnlich den Dänen in Schleswig eine eigene Partei gründet? Oder spricht in drei, vier Generationen niemand mehr von "den Türken"? Rund ein Drittel der 5,3 Millionen Einwohner des Ruhrgebiets haben polnische Wurzeln. Das Gros geht auf die so genannten Ruhrpolen zurück, die Ende des 19. Jahrhunderts hierher auswanderten. In Essen, Dortmund und Gelsenkirchen gab es anfänglich ein eigenständiges polnisches Arbeitermilieu. Davon ist nichts geblieben außer polnischen Nachnamen.

Mit seinen Worten in der Köln-Arena hat der Staatsgast aus Ankara auf höchst unzulässige Weise in ein Wespennest gestochen. Danach ist er heimgereist. Und hat "seine" Landsleute mit all ihren Problemen zurückgelassen. Staatsmännisch sein ist anders.

Quelle: ntv.de

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