Zwischenruf Eulen nach Athen tragen
08.12.2008, 16:16 UhrNach den schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei ist die Lage in Griechenland wieder ruhig. Weitgehend zumindest, vorläufig in jedem Fall. Der tödliche Schuss aus einer Dienstpistole auf einen Fünfzehnjährigen war nur der Funke, der den angestauten Unmut weiter Teile der Jugend im Wortsinne explosionsartig zum Entzünden brachte.
Anders als 2005 in den französischen Banlieues waren es nicht schlecht ausgebildete Jugendliche mit Migrationshintergrund, die auf die Straße gingen. Anders als in Frankreich handelte es sich um Schüler und Studenten mit guter Ausbildung, die jedoch nach dem Abschluss kaum eine berufliche Perspektive haben. Griechenland rangiert mit 27 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in der Europäischen Union auf dem ersten Platz. Auch wenn die Gewalttätigen häufig aus der so genannten autonomen Szene kommen, deren revolutionäres Potential sich im Anzünden von Arbeiterautos erschöpft die Ereignisse in Athen und fast allen anderen Großstädten des Landes als Randale abzutun, greift zu kurz.
Die Regierung der konservativen Nea Demokratia von Premierminister Kostas Karamanlis wird von einer Reihe von Korruptionsskandalen heimgesucht. Erst in der vergangenen Woche war es wieder zu einem Generalstreik gekommen, der den öffentlichen Verkehr für 24 Stunden lahm legte. Den Gewaltausbrüchen vom Wochenende unmittelbar vorangegangen waren Proteste von Studenten, Lehrern und Angestellten des öffentlichen Dienstes in der Hauptstadt. Im Mittelpunkt der Kritik: fortdauernde Privatisierungen, Sparpolitik und Rentenkürzungen.
Karamalis’ ND-Partei verliert in den Meinungsumfragen immer mehr an Zuspruch und tut trotzdem so, als gäbe es keine Finanzkrise und Rezessionsängste. Selbstgefertigte Prognosen von einem Wirtschaftswachstum von 2,7 Prozent für 2009 überzeugen immer weniger Hellenen. Vorgezogene Wahlen im nächsten Jahr werden immer wahrscheinlicher. An den Urnen dürfte die sozialdemokratische PAASOK von Georgios Papandreou der Hauptprofiteur der Unzufriedenheit sein. Kritiker nicht nur von der Linken werfen Papandreous Partei aber vor, sich kaum noch vom Neoliberalismus der Konservativen zu unterscheiden. Schlägt die PAASOK keinen anderen Kurs ein, sind die nächsten Protestaktionen programmiert. Das ist eine Eule, die man bekanntlich nicht nach Athen tragen muss. Es sei denn, man verschließt die Augen.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de