Zwischenruf FDP: Ein Ass im Ärmel?
06.01.2011, 16:05 UhrEine selbstkritische Rede war von FDP-Chef Westerwelle nicht zu erwarten. Wie auch? Eine objektive Bestandsaufnahme wäre die Vorankündigung des eigenen Rücktritts gewesen. Trotzdem hätte er eine andere Rede halten müssen. Es sei denn, der FDP-Chef hat noch ein Ass im Ärmel.
Das Konzept der Rede von Guido Westerwelle war rasch durchschaut. Auf die eigenen Verdienste pochen, anderen die Schuld geben und verkünden, dass es jetzt erst richtig los gehe. Dabei ist dem Vorsitzenden der Freien Demokraten hoch anzurechnen, dass er nicht bei Adam und Eva begann, sondern erst in den fünfziger Jahren und der sozialen Marktwirtschaft und dann bei der neuen Ostpolitik weitermachte. Der Anteil der Liberalen an den Erfolgen der Bundesrepublik ist unbestritten. Gleichwohl besagt ein Sprichwort: Verflossene Wasser bewegen keine Mühlen. So bitter es für Politiker auch sein mag: Das historische Gedächtnis ist kurz. Ein Hartz-IV-Empfänger schert sich einen Teufel darum, ob es vor einem halben Jahrhundert auch der FDP zu verdanken war, dass der CDU-Kanzler und Vater des Wirtschaftswunders Ludwig Erhard nicht gestürzt wurde. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral, lässt Brecht seinen Mackie Messer sagen.
Parolen ersetzen keine Inhalte
Wenn der Vizekanzler die gesunkene Arbeitslosigkeit preist, vergisst er, dass ein Großteil der neuen Jobs auf Leiharbeit und befristeten Arbeitsverhältnissen fußt. Wer der Generation Praktikum erzählt, Deutschland habe dank der Politik der bürgerlichen Koalition eine sehr viel niedrigere Jugendarbeitslosenzahl als unsere westlichen Nachbarn, vergisst, dass der Anteil der Erwerbslosen zwischen 15 und 24 Jahren doppelt so hoch ist wie der in der Gesamtbevölkerung. Man muss eine ganze Menge Chuzpe haben, wenn man dann höhnt, dies wäre also das schwierige Umfeld, in dem das Dreikönigstreffen stattfindet.
Parolen ersetzen keine Inhalte. Fröhlicher Patriotismus, Freiheit zu Verantwortung, Leistungsgerechtigkeit usw. usf. Was soll das? Vor einem Jahr hatte der Chef der Freidemokraten noch eine politisch-moralische Wende angekündigt. Heuer ist davon keine Rede mehr.
Eine selbstkritische Rede war von Guido Westerwelle nicht zu erwarten. Wie auch? Eine objektive Bestandsaufnahme wäre die Vorankündigung des eignen Rücktritts gewesen.
Wer hat Schuld?
Dem Parteivorsitzenden die alleinige Schuld in die Schuhe zu schieben, wäre aber ungerecht. Sicher: Die unter Otto Graf Lambsdorff begonnene Entwicklung hin zu einer vorrangig wirtschaftliberalen Partei hat Westerwelle auf die Spitze getrieben. Aber Werte wie Freiheit haben sich längst auch alle anderen Parteien auf ihre Fahnen geschrieben. Die meisten aber verstehen darunter nicht nur die Freiheit, möglichst ungestört Geld zu machen. Die Mittelschichten, die der Redner immer wieder als Motor der Gesellschaft und implizit als Zielgruppe seiner Partei definiert, sind seit 2000 dramatisch zusammengeschmolzen. Nicht zuletzt dank der seither betriebenen neoliberalen Politik. Zudem fühlen sich viele Angehörige dieser sozialen Gruppe heute mehr von den Grünen angesprochen.
Wenn eine Partei in der Wählergunst von 14,6 Prozent auf drei, vier Punkte abfällt, hätte Guido Westerwelle eine andere Rede halten müssen. Es sei denn, er hat noch ein Ass im Ärmel. Wenn ja, dann war es in Stuttgart gut versteckt.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de