Kommentare

Zwischenruf Frankreich: Komödie oder Revolution?

In Frankreichs neuer Regierung spricht man von einer geradezu revolutionären Kurswende. Als "Klüngel unter Parteifreunden" sieht dagegen die Opposition die Kabinettsumbildung von Präsident Sarkozy. Fraglich nur, ob die Wähler bei der Präsidentenwahl 2012 eine solche Comédie-Française goutieren.

Wenn es sich bei der Regierungsumbildung in Frankreich um eine Revolution handelt, und sei es auch nur eine kleine, wie die alte und neue Finanzministerin Christine Lagarde meint, muss außer ihr der Rest der Welt geschlafen haben. Das Revirement hatte sich lange angekündigt und war in dem Maße immer dringlicher geworden, wie die Beliebtheit des Hans Dampf in allen Pariser Gassen nachließ, um schließlich nur noch bei einem Drittel der Franzosen zu punkten.

Die neue Außenministerin Michèle Alliot-Marie. Die 64-Jährige war zuvor schon Verteidigungs-, Innen- und Justizministerin und ist seit 2002 ununterbrochen im Kabinett.

Die neue Außenministerin Michèle Alliot-Marie. Die 64-Jährige war zuvor schon Verteidigungs-, Innen- und Justizministerin und ist seit 2002 ununterbrochen im Kabinett.

(Foto: dpa)

Die sozialen Kämpfe der vergangenen Wochen haben entscheidend dazu beigetragen, den Präsidenten zu schwächen. Auch im bürgerlichen Lager wächst die Unzufriedenheit. Die neue Regierung beendet die "ouverture", die Öffnung, nach links, für die nicht zuletzt der frühere Sozialist und Gründer der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" Bernard Kouchner stand. Die romafeindliche Politik war dann doch selbst dem gern schillernden Paradiesvogel zuviel. Nachfolgerin an der Spitze des Außenministeriums ist Justizministerin Michèle Alliot-Marie, die zuvor schon für Inneres und Verteidigung zuständig war. Ämtertausch gab es auch in anderen Ressorts. Mit Michèle Alliot-Marie und dem als Verteidigungsminister wieder ins Kabinett berufenen Ex-Premier Alain Juppé gewinnen tradionalistisch-gaullistische Positionen wieder stärker an Gewicht. Mit dem für die Beziehungen zum Parlament zuständigen Patrick Ollier, dem Lebensgefährten von Frau Alliot-Marie, zieht erstmals in der jüngeren französischen Geschichte ein Paar in eine Ministerrunde ein. Dass Arbeitsminister Eric Woerth seinen Platz räumen musste, war nach dem L’Oreal-Parteispendenskandal kaum mehr eine Überraschung und ist ein Bauernopfer. Sarkozy selbst war mit zwei blauen Augen davongekommen.

Eine vernünftige Arbeitsteilung

Sarkozy und Fillon beschließen die Arbeitsteilung.

Sarkozy und Fillon beschließen die Arbeitsteilung.

(Foto: dpa)

Die neue Regierung soll den konservativen Teil der Wählerschaft wieder fest an die Regierungspartei Union pour un mouvement populaire (UMP) binden. Mit der nicht zufällig am 18. Juni, dem 70. Jahrestag des über die BBC ausgestrahlten Aufstandsappells von Charles de Gaulle, gegründeten Partei République solidaire ist der UMP eine ernstzunehmende Konkurrenz rechts von der Mitte erwachsen. Geführt wird die "Solidarische Republik" von Sarkozys Erzfeind Dominique Villepin. Gefahr, nicht nur für Sarkozy, sondern für die Demokratie, geht auch von dem rechtsextremistischen Front national aus, der die Früchte von Sarkozys rassistischer Identitätsdebatte erntete. Die Linke hat ihre Positionen nach ihrem Sieg bei den Regionalwahlen vom März weiter konsolidiert. Beobachter in Paris sprechen von einer künftigen Arbeitsteilung. François Fillon, der im Vergleich zum Staatschef erheblich populärere Premier, übernimmt die Zügel in der Innenpolitik, der Präsident erhebt sich aus den Niederungen von Sozial- und Wirtschaftspolitik und mimt in G8 und G20 den Weltenretter. Fraglich nur, ob die Wähler bei der Präsidentenwahl 2012 eine solche Comédie-Française goutieren werden.

Bleskin.jpg

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen