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Zwischenruf Gesundheit als Ware

"Ärztliche Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen der Kranken , hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden", heißt es im Eid des Hippokrates, der dem Begründer der Medizin als Wissenschaft zugeschrieben wird und im vierten Jahrhundert v. Chr. entstanden sein soll. Wenn Ärzte in Deutschland meinen, sie müssten Vorkasse fordern, bevor sie sich um den Patienten kümmern, widerspricht das mithin Jahrtausende alten Prinzipien und ist im höchsten Grade verabscheuenswürdig.

Nun droht der stellvertretende Vorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung, Johann-Magnus von Stackelberg, damit, die Betreffenden riskierten den Entzug ihrer kassenärztlichen Zulassung. Er sollte dem rasch Taten folgen lassen.

2315 Fälle dieser Art soll es geben; die Gierschlunde wären rasch ausgemacht. Man brauchte nur bei den Kassen nachzuhaken, die Kenntnis von solchen Missbrauchsfällen haben. Dies gilt auch für jene, die Patienten eine Barzahlung abverlangen.

Die Einkommen der Ärzte im Osten wie im Westen sind zwischen 1997 und 2005 gestiegen. In fast allen Fachbereichen wuchs der so genannte Praxisüberschuss, teilweise bis zu 50 Prozent. Deutschland aber ist das einzige Land in Europa, in dem die Realeinkommen der Arbeitnehmer, also des überwiegenden Teils der Patienten, seit 2000 sinken. Um 0,8 Prozent. Inflationsbereinigt verdienen die Italiener heute 7,5 Prozent mehr als damals, die Franzosen 9,6 Prozent, die Briten sogar 26,1 Prozent.

Viel Lärm um ... wenig

Woher aber kommen solche ethischen Verwerfungen? Es liegt in der Natur der Dinge, wenn Ärzte unter gesellschaftlichen Voraussetzungen, die das Gesundheitswesen und damit auch die Gesundheit zur Ware machen, keine Einkommenseinbußen hinnehmen wollen. Die CSU, die die Einführung des Gesundheitsfonds mitgetragen hat, macht sich nun profilierungssüchtig zum Vorreiter der Abschaffung desselben. Bei den Medizinern in Bayern käme zuwenig an von den 2,7 Milliarden Euro, welche den Ärzten vom Bund an Mehrhonorar zugesichert worden seien. Ministerin Ulla Schmidt entgegnet, 2,7 Milliarden Euro ergäben sich aus dem Vergleich mit 2007, bezogen auf das Vorjahr wären es nur 1,2 Milliarden. Das bayerische Argument greift aber auch deshalb nicht, weil es einen Risikostrukturausgleich gibt, der mögliche Verluste ausgleicht. Viel Lärm um wenig.

Die eigentliche Crux aber ist, dass es seit Januar von den gesetzlichen Kassen nur einen Pauschalbetrag pro Patient (gleich Ware, d. A.) und Quartal gibt, unabhängig vom tatsächlichen Aufwand der Behandlung. Wenn die Kosten darüber liegen muss die Kasse im darauffolgenden Jahr einen Zusatzbeitrag erheben, der ein Prozent des beitragspflichtigen Einkommens eines Patienten nicht übersteigen darf. So sollen einkommensschwache Kranke geschützt werden. Für einen Hartz-IV-Empfänger wäre ein Prozent aber eine Menge Geld. Acht Euro können von jeder Kasse sogar ohne Einkommensprüfung eingefordert werden. Diese Schieflage zu verhindern, hätte in der Macht der Kritiker gestanden. Nun aber wird sich der Streit bis zur Bundestagswahl hinziehen. Je nach Wahlausgang kommt es dann zu der von der Union gewollten Kopfpauschale oder der von der SPD angestrebten Bürgerversicherung.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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