Zwischenruf Griechenland-Türkei: Zaun bleibt Zaun
03.01.2011, 15:45 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Auch ein Zaun, egal wie hoch, kann den Zustrom aus unterentwickelten Ländern nicht stoppen. Flüchtlinge werden weiterhin versuchen, aus der Türkei über Griechenland in die EU zu kommen. Das ist der Preis, den unsere Gesellschaften für die Globalisierung bezahlen.
Auch, wenn die Regierung Griechenlands nun nach internationalen Protesten den geplanten Zaun an der Grenze zur Türkei auf ein paar Kilometer verkürzt: Zaun bleibt Zaun. Die illegalen Einwanderer werden weiter versuchen, Sperren welcher Art auch immer zu überwinden. Wenn selbst mit Panzerminen übersäte Grenzstreifen nicht abschrecken, werden sich die Verzweifelten nicht durch einen Zaun von drei Meter Höhe abhalten lassen. Dies beweisen nicht zuletzt die 16 Toten, die vor sechs Jahren versuchten, die spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla zu überwinden. Jetzt ist der Zaun sechs Meter hoch. Das Blut jener, die sich im Stacheldraht die Hände aufschnitten, ist abgewaschen. Ihre Schreie hängen aber immer noch in der Luft.
Die überwiegende Mehrheit der Zuwanderer gelangt über Griechenland in die Europäische Union. Doch es gibt es keine umfassende, einheitliche Zuwanderungspolitik. Jede Regierung freut sich, wenn der Kelch an ihr vorbeigeht. Schnapsideen wie die des damaligen Bundesinnenministers Otto Schily, in Afrika oder sonst wo Auffanglager zu errichten, helfen nicht weiter. Bilaterale Regelungen wie die zwischen Italien und Libyen setzen die Zuwanderer der Willkür der örtlichen Behörden aus. Doch auch die griechischen Polizisten sind hoffnungslos überfordert und reagieren häufig mit äußerster Brutalität. Das Land in der Finanzkrise ist obendrein nicht fähig, in den Notunterkünften für minimale Ordnung und Sauberkeit zu sorgen. Der unveränderte Zustrom treibt Anwohner in die Arme faschistischer Gruppierungen. Es fehlt nur noch der berühmte Funke, um den Brand zu entfachen. Die 200 Beamten, welche die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, kurz Frontex, in das Krisengebiet entsandt hat, sind kaum mehr als ein Tröpfchen auf glühender Lava.
Gespräche mit der Türkei, die die Flüchtlinge ungehindert passieren lässt, und finanzielle Soforthilfen der EU zur Erleichterung der Lage in den Lagern sind geeignet, als Soforthilfen Linderung zu bringen. Eine dauerhafte Lösung ist das selbstverständlich nicht. Eine Beendigung der Kriege in Afghanistan, im Irak und andernorts wäre zweifellos hilfreich. Doch selbst dann wären die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der betreffenden und vieler anderer Länder nicht gelöst. Der Zustrom aus den unterentwickelten Ländern ist der Preis, den unsere Gesellschaften für die Globalisierung bezahlen. Wir sollten uns darauf einstellen, dass auch noch so ausgeklügelte Zäune und Bewachungen nicht das Grundproblem beseitigen. Eine gemeinsame EU-Einwanderungspolitik und ehrliche Integrationsbemühungen wären ein hilfreicher Anfang. Nebenbei, lieber Herr Sarrazin, es werden schon noch ein paar Türken in der Türkei bleiben.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de