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Zwischenruf Hohe Obdachlosigkeit ist eine Schande

Immer mehr Menschen müssen in Deutschland auf der Straße leben. Darunter sind Tausende noch minderjährig. Eine Statistik darüber führt die Bundesregierung nicht. Ein Bruchteil der für vielfach sinnlose Großprojekte verpulverten Mittel könnte dem Problem ein Ende bereiten.

(Foto: dpa)

Die Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) über Menschen ohne festes Dach über dem Kopf sind eine Schande für unser reiches Land. Nachgerade beschämend ist der Anstieg der Obdachlosigkeit in den vergangenen zwei Jahren um 15 Prozent. Erschütternd, dass von den fast 300.000 Menschen ohne Wohnung gut 32.000 Kinder und minderjährige Jugendliche sind. Unglaublich, dass die Bundesregierung die Misere nicht einmal statistisch erfasst.

Einer der Gründe für die steigende Wohnungslosigkeit  ist der drastische Anstieg der Mietpreise. Der Staat hat sich unter Bundeskanzler Helmut Kohl 1988 aus der Förderung des sozialen Wohnungsbaus zurückgezogen. Die Folge: Die Zahl der Sozialwohnungen ist drastisch zurückgegangen. Beliebt scheint heute auch die Streichung der Mietzuschüsse für Hartz-IV-Empfänger unter 25 Jahren, wenn diese aus Sicht der Verantwortlichen mit einer Strafmaßnahme belegt werden müssen. Dann liegen sie auf der Straße.

Über Mietpreisbindungen wird palavert, getan wird wenig mehr als nichts. Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Tod des Partners - die Ursachen für die Not sind vielfältig. Bei Kindern kommen Gewalt und Missbrauch im Elternhaus hinzu. Manchmal reicht aber auch der Wohnraum nicht aus: 5,6 Millionen Menschen leben in Deutschland unter beengten Verhältnissen. Unbestritten gibt es auch Menschen, die freiwillig auf der Straße leben. Doch die sind in der Minderheit.

Es ist gut, dass die BAGW ihre Zahlen mitten in der Sommerhitze bekannt gibt. So ist das Drama auch in einer Jahreszeit Thema, in der für gewöhnlich nicht darüber gesprochen wird. Im Winter, wenn Menschen auf der Straße erfrieren oder sich vor Kälte zitternd in Wärmestuben aufhalten, fließen dann schon ein paar Tränen. Es sind Krokodilstränen.

Für einen Bruchteil der bei Projekten wie dem Berliner Stadtschloss, der Hamburger Elbphilharmonie, Stuttgart 21, BER und Euro Hawk verschleuderten Milliarden, könnte das Problem gelöst werden. "Die majestätische Gleichheit vor dem Gesetz verbietet es Reichen wie Armen, unter den Brücken zu schlafen, Brot zu stehlen und auf den Straßen zu betteln", formulierte der französische Romancier Anatole France dereinst provokatorisch. Schlimm, dass er immer noch recht hat.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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