"Krieg gegen die Hamas" Interesse nicht erkennbar
21.12.2008, 21:56 Uhr"Olmert droht mit Krieg" heißt es hier bei n-tv.de in der Überschrift. Im Text steht freilich, dass Olmert nur "indirekt" mit Krieg drohe. Lediglich im Untertitel werden die Raketensalven von Gaza auf Israel erwähnt.
Hier müssen erst einmal ein paar Formalitäten geklärt werden. "Krieg" ist, laut Völkerrecht, die klassische gewaltsame Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten. Die Haager Kriegskonvention und die Genfer Konventionen regeln nur die Beziehungen zwischen Staaten, nicht aber zwischen einem international anerkannten Staat einerseits und einer "Autonomiebehörde" von Gnaden eines Staates und gar eines Territoriums, in dem eine militante Gruppe innerhalb jener Autonomiebehörde per Putsch die Macht an sich gerissen hat. Solange die internationale Gemeinschaft Israel weiterhin als "Besatzungsmacht" betrachtet, also als den eigentlichen Souverän im Gazastreifen, kann es keinen "Krieg" geben. Denn als Besatzungsmacht gilt Israel gemäß den Regeln der internationalen Gemeinschaft auch als die verantwortliche Ordnungsmacht. Allein deshalb, rein formal, kann Israel keinen "Krieg", weder direkt noch indirekt, gegen ein Gebiet führen, das es doch selber als Besatzungsmacht kontrolliert und angeblich sogar verwaltet.
Nach dem Rückzug kein "Besatzer"
Jenseits dieser Formalitäten, die je nach Gusto von der internationalen Gemeinschaft, von der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah oder gar von der Hamas in Gaza akzeptiert oder genutzt werden, gibt es auch die sogenannte Kraft des Faktischen. Die allerdings passt nicht in das akzeptierte Regelwerk internationaler Vorstellungen oder gar des Völkerrechts. Israel hat sich im Sommer 2005 total aus dem Gazastreifen zurückgezogen, ist also eigentlich nicht mehr "Besatzer". Wenn es aber weiterhin als dennoch-Besatzer weiterhin für das Wohl der Bevölkerung und für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung verantwortlich ist, müsste Israel einmarschieren, um sich überhaupt um die Bevölkerung kümmern zu können. Neues Völkerrecht wurde geschaffen, als Israel der palästinensischen Autonomiebehörde eine "Selbstverwaltung" übertrug, diese Aufgaben zu übernehmen und Israel von dieser Verantwortlichkeit zu befreien. Im Westjordanland würde heute niemand mehr von den Israelis fordern, sich um die Schulen oder Krankenhäuser zu kümmern, da dies längst in der Verantwortung der Autonomie-Regierung liegt.
Doch im Gazastreifen herrschen andere Verhältnisse, seitdem die Hamas-Organisation geputscht und die Autonomieregierung gewaltsam mitsamt ihren Repräsentanten rausgeworfen hat.
Die Hamas spielt sich als eigenständiger Staat auf, ist aber als solcher von Niemanden anerkannt. Die führt auf ihre Weise Krieg gegen Israel, nicht "indirekt" sondern ganz konkret mit Raketensalven auf die Grenzgebiete Israels, so weit ihre Raketen reichen, bis Sderot, gelegentlich bis Aschkelon und potenziell sogar bis Beer Schewa und Aschdod.
Im Völkerrecht ist nicht vorgesehen, dass eine politische Partei oder bewaffnete Gruppe, wie immer man die Hamas nennen mag, von einem nicht-existenten Staat aus Raketenangriffe auf einen real existierenden Staat durchführt, der noch dazu gemäß internationalem Recht als "verantwortliche Besatzungsmacht" jenes Territoriums gilt.
Die Realität ist, dass Hamas und Israel jeweils aus guten oder schlechten Gründen einander nicht anerkennen und deshalb nicht einmal direkte Verhandlungen miteinander führen können. Für den Staat Israel sind die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf seine Grenzstätte unerträglich. Die zunehmenden Attacken auf seine Zivilbevölkerung – in jedem Fall ein Verstoß gegen jegliches Völkerrecht – fordern von Israels Regierung, zur Not mit Gewalt, im schlimmsten Fall sogar mit einer Wiederbesetzung des Gazastreifens, diesem Spuk ein Ende zu setzen.
Hamassprecher hingegen stellen nicht-akzeptable Forderungen an Israel, reden vom Recht eines okkupierten Volkes, bewaffneten Widerstand gegen Besatzer zu leisten und behaupten gar, dass ein Krieg gegen Israel eine "nationale Aufgabe" sei.
Interesse nicht erkennbar
Jenseits aller Formalitäten und nicht-akzeptablen Zuständen, stellt sich die Frage, was eigentlich beide Seiten wollen. Die Hamas scheint es auf eine bewaffnete Konfrontation mit Israel abzusehen, wenn es die "Tahdija", die vermeintliche Waffenruhe, aufkündigt und Israel mit Raketensalven zur gewaltsamen Reaktion provoziert. Doch will die Hamas wirklich Israel zum Einmarsch und damit zum Ende der Hamas-Herrschaft im Gazastreifen herausfordern, sollte Israel nach einem willkürlichen Volltreffer auf einen Kindergarten oder auf eine Schule mit vielen Toten dazu geradezu gezwungen sein? Umgekehrt fragt sich, ob Israel wirklich einen Wiedereinmarsch will und zu einer Wiederbesetzung des Gazastreifens mitsamt zahlreichen eigenen Opfern und höheren Opfern unter der palästinensischen Zivilbevölkerung bereit und interessiert ist?
Die ganz erhebliche Eskalation zwischen Israel und Hamas der letzten Tage lässt nichts Gutes hoffen, zumal es weder für Israel, aus praktischen Gründen, noch für Hamas, aus ideologischen Gründen, einen Ausweg aus der wohl unausweichlichen gewaltsamen Konfrontation mit schrecklich viel Blutvergießen gibt.
Der Nahe Osten ist sein Metier. Ulrich W. Sahm berichtet seit Mitte der 70er Jahre aus der Region – immer auf der Suche nach der Geschichte hinter der Nachricht.
Quelle: ntv.de