Sonderprozess gegen Ex-Premier Island und sein Sündenbock
06.03.2012, 13:17 Uhr
Geir Haarde ist der erste Politiker, der sich vor dem Reichsgericht verantworten muss.
(Foto: Reuters)
Island arbeitet mit juristischen Mitteln seine Finanzkrise auf. Dafür tritt erstmals in der Geschichte der Republik das Reichsgericht zusammen. Mit Geir Haarde muss sich ein ehemaliger Regierungschef verantworten. Ihm droht sogar eine Haftstrafe. Dabei ist der 60-jährige Konservative nicht alleine für die Katastrophe verantwortlich.
Die Isländer gelten als zurückhaltende Menschen. In der Regel bringt sie so schnell nichts aus der Ruhe. Zwar brodelt es schon lange auf der Insel - aber es waren bislang nur Vulkane und Geysire. Doch vor fast vier Jahren geriet die im Nordatlantik gelegene kleine Republik mit ihren nur etwas mehr als 300.000 Bewohnern durch eine große Katastrophe in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Diese war diesmal nicht naturbedingt, sondern durch Menschenhand hervorgerufen.
Im Zuge der weltweiten Finanzkrise brach im Herbst 2008 Islands Bankensektor zusammen. Die größten Geldinstitute des Landes, Kaupthing, Glitnir und Landsbanki, waren de facto pleite. Sie hatten Schätzungen zufolge Schulden angesammelt, die dem sage und schreibe zehnfachen Wert des Bruttoinlandsprodukts der Republik entsprachen. Die von liberalkonservativer Unabhängigkeitspartei und sozialdemokratischer Allianz gestellte Regierung von Ministerpräsident Geir Haarde musste eingreifen und die Banken durch Verstaatlichung vor dem Absturz bewahren. Ergebnis war ein völlig aus dem Ruder gelaufener Staatshaushalt mit einem für isländische Verhältnisse horrenden Defizit. Zudem stieg die Staatsverschuldung auf fast 100 Prozent an. Die Insel drohte regelrecht im Schuldenmeer zu versinken. Nur durch Kredite seitens anderer nordeuropäischer Länder und des IWF wurde die Staatspleite mit Mühe verhindert.
Die Krise überrollte die Isländer regelrecht, zumal ihre Krone noch massiv an Wert verlor und die Arbeitslosenquote anstieg. Damit war es auch mit ihrer Geduld vorbei: Die Menschen gingen auf die Straße und belagerten regelrecht das Parlamentsgebäude in Reykjavik. Haarde wurde aus dem Sessel des Regierungschefs gekippt, auch weil ihm die Sozialdemokraten von der Fahne gingen und damit seine Koalition zerbrach.
Gefängnisstrafe droht
Der 60-Jährige kommt bis heute nicht zur Ruhe: . So wollte es das Parlament (Althing) - allerdings mit knapper Mehrheit. Die Vorwürfe gegen ihn wiegen schwer: Haarde soll bei Ausbruch der Finanzkrise untätig geblieben sein und sogar Warnungen in den Wind geschlagen haben. Wenn es ganz schlecht läuft, wandert er hinter schwedische Gardinen.

Ebenfalls bei den Isländern unten durch: David Oddsson. Er tritt als Zeuge auf.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Das kleine Island hat am großen Finanzrad gedreht und muss nun schwer dafür büßen. 2007 wurde das Land als fünftreichstes der Erde ausgewiesen. Luxuswagen säumten die Straßen Reykjaviks und die Lebenshaltung in der Hauptstadt glich Londoner Verhältnissen. Die Liberalisierung des Kapitalsektors brachte vielen Isländern Wohlstand. Ausländisches Kapital wurde regelrecht ins Land gelockt - Deutsche, Briten und Niederländer ließen sich nicht lange bitten und legten kräftig an. Bei Kaupthing, Glitnir und Landsbanki verlor man jegliches Maß und machte bei riskanten Kreditgeschäften mit. Man berauschte sich an den horrenden Gewinnen, die diese Zockerei einbrachte. Doch 2007/2008 brach dieses Finanz-Kartenhaus zusammen - game over.
Ohne Zweifel hat Haarde seinen Anteil an dieser Misere. Richtig ist, dass der Konservative vor seiner Zeit als Ministerpräsident sieben Jahre lang Finanzminister und damit für diese Orgie mitverantwortlich war. Aber Haarde ist in dieser Hinsicht nicht allein auf weiter Flur. Auch andere Personen, die nicht juristisch behelligt werden, waren daran beteiligt.
Dazu zählt David Oddsson, der von 1991 bis 2004 isländischer Ministerpräsident und danach Chef der Zentralbank in Reykjavik war. Unter seiner Leitung stieg Island groß ins internationale Finanzgeschäft ein. Die Liberalisierung hatte zudem das Ergebnis, dass sich die Großbanken der Aufsicht des Staates entziehen konnten. Unter Oddsson wurde das Regelwerk für die Vergabe staatlicher Hypothekenkredite aufgeweicht. Mit einem Anflug von Größenwahn sah er Island schon als internationales Finanzzentrum. Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall - nur sind leider Tausende Unschuldiger davon betroffen.
Haarde sieht sich als Sündenbock - und hat damit nicht ganz unrecht. Ausgerechnet sein ehemaliger Kabinettschef Oddsson tritt in dem Prozess als Zeuge auf. Er führt an, vor der Pleite der Großbanken gewarnt zu haben. Dutzende weiterer Personen, von denen ein Teil ebenfalls mitverantwortlich für das Desaster ist, machen Haarde vor Gericht die Hölle heiß. Damit ist aber eine vollständige Aufarbeitung der Finanzkrise bei diesem Sonderprozess nicht möglich.
Island, das derzeit von einer Koalition aus Sozialdemokraten und Linksgrünen unter Führung der resoluten Johanna Sigurdardóttir regiert wird, ist auf dem besten Weg, sich aus dem Krisensumpf zu befreien. Es gibt wieder Wachstum. Nach Lage der Dinge kann das Land seine Kredite bedienen. Zudem kommen die Verhandlungen über einen EU-Beitritt voran. Seine Zukunft ist also nicht so düster wie so manch isländischer Krimi. Es wird aber noch eine geraume Zeit dauern bis die Wogen geglättet sind. Dann brodeln wirklich nur die Vulkane, und vereinzelt fallen - wie im Fall des Eyjafjallajökull-Ausbruchs - in Europa die Flüge aus. Aber damit können die Isländer leben.
Quelle: ntv.de