Zwischenruf Jetzt drei Geschwindigkeiten
01.07.2008, 15:23 UhrDa hilft auch ein EU-blau angestrahlter Eiffelturm nichts: Die am 1. Juli beginnende französische Ratspräsidentschaft steht unter einem schlechten Stern. Erst das Nein der Iren zum Lissabon-Vertrag, zu dem Tschechiens Staatspräsident Vclav Klaus die Einwohner der Grünen Insel demonstrativ beglückwünschte. Zuvor hatte das Parlament in Prag den Ratifizierungsprozess abgebrochen. Senatoren von Klaus’ konservativer Regierungspartei ODS waren bis zum Verfassungsgericht gegangen, das nun bis zum Herbst prüfen soll, ob der Vertrag mit der Verfassung des Landes vereinbar ist. Sollten es dort keine Einwände geben, könnte die ODS-dominierte Zweite Kammer der Nationalversammlung die Ratifizierung kippen.
Dann kommen Österreichs Sozialdemokraten mit dem geschäftsführenden Parteichef Werner Faymann und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer daher und fordern eine Abstimmung über einen möglichen neuen EU-Vertrag. Der Ex-Linke Gusenbauer war schon 2005 für ein EU-weites Referendum über den damals geplanten Verfassungsvertrag eingetreten, dann aber eingeknickt. Schützenhilfe kommt aus Ungarn: Alexandra Dobolyi, die für die in Budapest regierenden Sozialisten im Europa-Parlament sitzt, hält ein Volksvotum über ein solches, drittes, Dokument für unerlässlich.
Deutschlands und Polens Staatsspitzen unwillig
Nun weigert sich Polens Staatschef Lech Kaczyński, seine Unterschrift unter die vom Sejm bereits gebilligte Ratifizierungsurkunde des Lissabon-Konvoluts zu setzen. Auch sein deutscher Amtskollege Horst Köhler verweigert dem von Bundestag und Bundesrat gebilligten Papier sein Signum. Freilich nicht aus Gegnerschaft, sondern wegen des nach Klagen der Linken und des CSU-Quertreibers Peter Gauweiler ausstehenden Spruchs des Bundesverfassungsgerichts. Gleichwohl sieht der SPD-Europadeputierte Jo Leinen Anlass zu Kritik: Deutschland dürfe nicht den Eindruck erwecken, es wolle den Lissabon-Vertrag hintertreiben. Dies könnte weiteren Ländern den Vorwand für Verzögerungen ihrerseits liefern.
Man darf gespannt sein, wie da der "heilsame Schock" aussieht, den Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy der Europäischen Union zu ihrer Gesundung verpassen will. Es ist bitter mit anzusehen, wie das europäische Projekt unter nationalstaatlichem Sperrfeuer in die Knie geht. Am Ende wird das – auf längere Sicht - einzig mögliche Europa stehen, ein Europa der drei Geschwindigkeiten: Eine 27er Wirtschaftsgemeinschaft, ein "Kern-Europa" und ein "Rest-Europa", das erst gar nicht die Chance bekommt, in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden.
Quelle: ntv.de