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Zerrbild korrigiert Joseph Ratzingers Wandlung

Wenn es stimmt, dass in Frankreich jedem Oberhaupt der Kirche neben Distanz auch gerne ein gewisses Misstrauen entgegengebracht wird, so galt das im Falle von Benedikt XVI. erst recht. Polemische Ausfälle gegen den "Panzerkardinal" blieben zwar der britischen Boulevardpresse vorbehalten, aber wie Lobeshymnen klangen die französischen Medienberichte über den "Chef-Inquisitor" oder "Übergangspapst" aus Deutschland ganz bestimmt nicht.

Es waren vor allem Vergleiche mit seinem Vorgänger, die Joseph Ratzinger zum Nachteil gereichten. Im Gegensatz zu Johannes Paul II., so hieß es, verfüge Benedikt weder über Volksnähe noch Charisma, und selbst die konservative Glaubensauslegung von Karol Wojtyla wurde gerne auf den Einfluss des "traditionsverhafteten Mönchs" aus Bayern geschoben.

Beobachter verblüfft

Knapp 28 Stunden, die Benedikt in Paris verbrachte, reichten, um dieses Zerrbild zu korrigieren. Zehntausende Jugendliche, die dem Papst überall, wo er sich zeigte, begeistert zujubelten, haben die Kritiker von gestern nachdenklich gestimmt. Was die Aura von Benedikt XVI. ausmache, fragten gerade jene Beobachter verblüfft, die ihm zuvor jede Aura abgesprochen hatten. Auf einmal ist nicht mehr von der Zurückhaltung des Papstes die Rede, sondern von seiner freundlichen Bescheidenheit, nicht von seiner Strenge, sondern von Geradlinigkeit, nicht von abgehobener Intellektualität, sondern von Geistesschärfe.

Nuancen mögen das sein in den Augen aller, für die dieser Papst nach wie vor ein Mann der Vergangenheit ist oder jedenfalls nicht der Richtige, um den Katholizismus in Frankreich – und in den Nachbarländern - aus der Krise zu befreien. Unbestreitbar aber ist Benedikt XVI. in Paris aus dem Schatten seines Vorgängers getreten. Die Kirchen mag er mit seiner leisen Art zwar noch nicht gefüllt haben, wohl aber die Straßen und Plätze. Schon das hatten ihm viele gar nicht zugetraut.

Quelle: ntv.de

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