Zwischenruf 329 Kämpfe in "sicherer Stadt"
29.03.2007, 09:09 UhrVon Manfred Bleskin
Eigentlich hätte man es wissen müssen, dass sich in Tal Afar etwas Schlimmes ereignen wird. Erst kürzlich hatte George W. Bush erklärt, die Stadt im Nordwesten des Irak sei Beispiel für eine verbesserte Sicherheitslage. Doch wenn der US-Präsident etwas verkündet, dann ist in der Praxis zu häufig das Gegenteil der Fall. So fing der Krieg im Zweistromland erst dann so richtig an, nachdem Bush am 1. Mai 2003 sein Ende verkündet hatte. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Die "sichere" Stadt war vor zwei Jahren Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen sunnitischen Aufständischen und US-Truppen. Nun haben dort schiitische Polizisten unter der sunnitischen Zivilbevölkerung ein Blutbad angerichtet, das seinesgleichen sucht. Vorangegangen waren Selbstmordanschläge der sunnitischen Terrorgruppe "El Kaida im Irak". Hatte Bush nicht im Juni vergangenen Jahres nach dem Tod von deren Chef Abu Mustafa al-Sarkawi proklamiert, nun sei die Bande handlungsunfähig?
Die Ereignisse in der Stadt werfen ein Schlaglicht auf den Irak: Tal Afars Bevölkerung ist multiethnisch. Ihre 170.000 Einwohner sind mehrheitlich sunnitische Araber, daneben leben dort sunnitische Kurden und schiitische Turkmenen. 80 Prozent der Menschen sind arbeitslos. Größter Arbeitgeber ist das Innenministerium in Bagdad, das von Bajan Bakr Solagh geleitet wird. Dem Mitglied der schiitischen Regierungspartei SCIR war wiederholt vorgeworfen worden, seine Polizisten gehörten Todesschwadronen an und verübten Mordanschläge. Dies hatte Bakr Solagh stets zurückgewiesen. Jetzt dürften dem Mann die Argumente ausgehen.
Wie auch dem US-Präsidenten, wenn er von verbesserten Sicherheitslagen im Irak schwafelt. Doch Bush ist - bekanntlich - beratungsresistent. Wie anders ist es zu verstehen, wenn sich der Präsident trotz des bis in die eigene Republikanische Partei hineinreichenden Widerstands gegen seine Irakpolitik wehrt, ein Datum für den Abzug der Truppen aus dem Irak festzulegen?
Doch wird der Rückzug der Besatzungstruppen allein die Lage nicht grundlegend verändern. Wie Tal Afar exemplarisch beweist, tobt neben dem Krieg gegen die ausländischen Armeen ein Bürgerkrieg zwischen sunnitischen und schiitischen Extremisten, dessen Dimensionen weit über Euphrat und Tigris hinausreichen. Die einen wollen einen "Gottesstaat" vom Iran bis in den Süden des Libanon, die anderen eine Neuauflage des Kalifats von Bagdad, das unter Harun Al-Rashid einst Mittelpunkt des sunnitischen Islam war.
Einzig eine regionale Sicherheitskonferenz wie sie Russland aus nicht ganz uneigennützigen Gründen vorschlägt, kann verhindern, dass die Katastrophe apokalyptische Ausmaße annimmt. 650.000 tote irakische Zivilisten, 3300 gefallene Besatzungssoldaten, vier Millionen Flüchtlinge und 712.000 Obdachlose sollten genug sein.
Quelle: ntv.de