Taurus-Leak Kanzler Scholz erlebt das nächste Debakel
04.03.2024, 19:07 Uhr Artikel anhören
Ein Taurus-Marschflugkörper: Um ihn ging es bei dem abgehörten Gespräch von Bundeswehr-Offizieren.
(Foto: dpa)
Der von Russland ausgelöste Abhörskandal verstärkt das Gefühl, dass viel zu viel schiefgeht in Deutschland: durch Stümperei. Das Leck ist ein Indiz dafür, dass die Bundeswehr möglicherweise bis hinauf zur Generalität leichtfertig und naiv agiert. Und Kanzler Olaf Scholz erlebt das nächste Debakel.
Hilfe! Etwas, was nicht passieren sollte, ist geschehen. Man hält es kaum für möglich, aber die Russen hören die Bundeswehr ab. Und dadurch stehen Deutschland und seine Regierung dumm da - auch im Ausland, wo man schon eine Menge Unsinn gewohnt ist, der in Berlin verzapft wird. Nun aber das! Kanzler Olaf Scholz erklärt in seiner unnachahmlichen Art eines Finanzbeamten, dass es sich seiner Meinung nach um eine "sehr ernste Angelegenheit" handelt. "Deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt." Bravo! Das ist mal eine Ankündigung. Doch was soll er, der vorgibt, das Land zu führen, auch sagen? "Pech gehabt"? Dann stünde die Republik Kopf.
Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Bundestages, fordert ebenfalls "Konsequenzen", mit der sie in Wahrheit dem deutschen Militär ein Armutszeugnis ausstellt: "Erstens müssen umgehend alle Verantwortlichen auf allen Ebenen der Bundeswehr umfassend zu geschützter Kommunikation geschult werden." Heißt das, bisher ist das nicht oder nur ungenügend der Fall, so dass es Nachhilfeunterricht braucht? "Zweitens muss gewährleistet sein, dass sichere und geheime Information und Kommunikation stabil möglich sind." Wie war das noch mal mit der Zeitenwende? Wollte sich Deutschland nicht rüsten für einen neuen Kalten oder Heißen Krieg?
Und nun kommt Högl, deren Themen bis zu ihrer Wahl zur Wehrbeauftragten im Mai 2020 Inneres, Recht, Verbraucherschutz, Sport, Kultur und Medien waren, im März 2024 auf die Idee, die Spionageabwehr finanziell, technisch und personell zu stärken. Armes Deutschland.
Und die Union? Zielt erwartungsgemäß auf den Kanzler, aber schießt weit übers Ziel hinaus. Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, liebäugelt mit einem Untersuchungsausschuss zu den Taurus-Leaks. Der soll dann was bringen? Öffentlich durchleuchten, warum es die unter Kanzlerin Angela Merkel in Grund und Boden gesparte Bundeswehr nicht schafft, Geheimnisse zu hüten? Wem soll damit geholfen sein?
Was wissen die Russen noch?
Die Debatte zeigt, auf welchem Niveau sich Deutschland und seine Politik momentan bewegen. Das Versagen der Spionageabwehr ist nur eine von vielen Spitzen des Eisbergs. Der Taurus-Leak verstärkt das Gefühl, dass viel zu viel schiefgeht: durch Stümperei. Gegen Abhören gibt es vermutlich keinen absoluten Schutz. Das Leck jedoch ist ein Indiz dafür, dass die Bundeswehr möglicherweise bis hinauf zur Generalität leichtfertig und naiv agiert. NATO-Partner dürften sich jedenfalls nicht allzu sehr wundern, dass die Russen die Bundesrepublik vorführen, ein Land, das nicht in der Lage ist, ein Gespräch eines Generals mit drei seiner Offiziere über ein extrem sensibles Thema geheim zu halten.
Was müssen unsere Verbündeten über uns denken? Insbesondere die Briten, da nun alle Welt weiß, dass sie im Zusammenhang mit dem Einsatz des Marschflugkörpers vom Typ Storm Shadow offensichtlich "ein paar Leute vor Ort", also in der Ukraine, hatten oder haben. London und auch Washington werden sich kaum damit trösten, dass Scholz von einer "sehr ernsten Angelegenheit" spricht und eine international bedeutungslose Wehrbeauftragte dafür plädiert, künftig besser aufzupassen. Man fragt sich auch: Was wissen die Russen noch? Können deutsche Politiker unter Druck gesetzt werden? Sind sie sogar erpressbar?
Für Scholz ist es in jedem Fall ein Debakel, weil seine ohnehin angeschlagene Glaubwürdigkeit unter dem Leak weiter leiden wird. Der Mitschnitt belegt, dass die Ukraine unter bestimmten Voraussetzungen den Taurus auch ohne Beteiligung deutscher Soldaten einsetzen könnte. Doch Scholz hatte exakt das Gegenteil behauptet, die Bundesrepublik könne den Marschflugkörper dem angegriffenen Land nicht überlassen, weil die Geschosse nur mit Hilfe der Bundeswehr abgefeuert werden könnten, was einer deutschen Kriegsbeteiligung gleichkäme. Entweder er hat geschwindelt oder von seinen Beratern nicht alle Informationen erhalten - beide Varianten sind nicht gut.
Lug und Trug gehören zu Putins Wesen
"Ich bin Kanzler, deshalb gilt das", sagt Scholz, der offenkundig Gerhard Schröder nicht nur als Friedens-, sondern auch als Basta-Kanzler folgen will. Wäre es doch nur so einfach. Sollten die Russen den Mitschnitt absolut ernst nehmen, müssten sie schlussfolgern, dass die Briten längst direkt am Krieg beteiligt sind, was in der Lesart von Scholz hieße: Russland müsste das Königreich angreifen. Und demnächst auch die Bundesrepublik. "Deutschland bereitet sich auf den Krieg gegen Russland vor", erklärt Putins Einpeitscher Dmitri Medwedew, im Nebenjob stellvertretender Chef des Sicherheitsrates der Russischen Föderation. "Schauen Sie sich an, mit welcher Gründlichkeit und mit welchen Details die Fritzen Schläge auf unser Territorium unter Benutzung von Raketen erhöhter Reichweite diskutieren."
Die "Fritzen" sind die Nazis. Eindeutig eine Lüge. Scholz oder wer auch immer denkt gar nicht daran, Russland anzugreifen. Aber Lug und Trug gehören zu Putins Wesen und Politik. Seit zwei Jahren ist bekannt, was es bedeutet, wenn sich der Moskauer Diktator von einem Land bedroht fühlt, in dessen Regierungen er unsinnigerweise Nazis wittert. Das wird dann schon mal mit dem Ziel der "Entnazifizierung" überfallen. Deutschland wäre schlecht vorbereitet, so viel steht fest. Erst recht nach dem Taurus-Leak.
Was nun niemand mehr leugnen kann: Putin führt schon Krieg gegen den Westen, nämlich mit Geheimdienstmethoden. Insofern hat Verteidigungsminister Boris Pistorius recht, wenn er hervorhebt, um was es bei aller berechtigten "Verärgerung" im Kern geht: "Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen. Jetzt aufgeregt zu reagieren, alle möglichen Spekulationen in den Raum zu stellen, Hypothesen aufzustellen, die bislang durch nichts gestützt werden, ist genau das, was Putin erreichen will, dass wir uns hier auseinandertreiben lassen." Das sollte sich auch die Union zu Herzen nehmen, ehe sie mit ziemlich überflüssigen Untersuchungsausschüssen um die Ecke kommt.
Quelle: ntv.de