Zwischenruf Kein Licht in der Finsternis
27.05.2010, 13:00 Uhr
Köhler bei seinem Besuch in Masar-i-Sharif.
(Foto: dpa)
Bundespräsident Köhler sagt offen, was andere gern verschleiern: Die Invasion in Afghanistan geschah vor dem Hintergrund ressourcenstrategischer Interessen.
Bundespräsident Horst Köhler ist wieder einmal in die Kritik geraten. Erst der peinliche Besuch in Afghanistan, wo er den Staatschef mit Nichtachtung strafte und den dort stationierten Bundeswehrsoldaten mangelnde Siegeszuversicht unterstellte. Jetzt der Aufschrei über seine Äußerungen zu den Zielen militärischer Auslandseinsätze. Die Quintessenz: Deutschland ist exportabhängig und muss im Notfall zu den Waffen greifen, um freie Handelswege zu sichern.
Wenn der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag Rupert Polenz erklärt, Köhler habe sich "etwas missverständlich ausgedrückt", hat er Unrecht. Köhler hat sich un-missverständlich ausgedrückt.
Bereits 1991 hatten die Staats- und Regierungschefs des Bündnisses auf ihrem Treffen in Rom nach dem Zerfall des Warschauer Paktes die Sicherung des Zugangs zu Ressourcen als neue Herausforderung beschrieben. Seit 1999 ist der sogenannte "out-of-defence"-Einsatz Bestandteil der neuen NATO-Doktrin.
Köhler sagt offen, was andere gern verschleiern. So vollzog sich die Invasion in Afghanistan vor dem Hintergrund ressourcenstrategischer Interessen. Die vor Beginn des Einmarsches geplante und danach in Rechtsform gegossene Vereinbarung über den Bau einer "Trans Afghanistan Pipeline", kurz TAP, genannten Leitung kam auf massiven Druck der Vereinigten Staaten zustande. Über die TAP sollte turkmenisches Erdgas über Afghanistan in pakistanische Häfen transportiert werden. Berater des involvierten US-Mineralölkonzerns UNOCAL war der jetzige afghanische Präsident Hamid Karsai, weiß die renommierte Pariser "Le Monde".
Als Köhler 2004 das Ziel gleicher Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland infrage stellte, entfaltete sich ein ähnlicher Sturm der Entrüstung wie jetzt. Köhler hat bis auf den Tag recht behalten. Doch ihm gelingt es - anders als seinen beiden unmittelbaren Vorgängern - nicht, mit seinen als richtig empfundenen Erkenntnissen neue Impulse auszusenden. Es ruckt einfach nicht. Das hängt offensichtlich auch mit seiner inneren Ambivalenz zusammen. Fallbeispiel: Als Chef des Internationalen Währungsfonds zeichnete er zu Beginn der Dekade für ein "Schuldenrestrukturierungsprogramm" verantwortlich, das Argentinien noch tiefer in den Keller stürzte. Als Bundespräsident geriert er sich in Lateinamerika und Afrika als Anwalt der Armen. Struktureller Ausdruck der Zwiespältigkeit ist das Tohuwabohu im Personaltableau des Bundespräsidialamtes.
Wenn die Bundesregierung schon nicht weiß, wie sie agieren soll, sollte es in Krisenzeiten einen institutionellen Leuchtturm geben, der den Menschen die Richtung weist. "Lux in tenebris lucet", "das Licht leuchtet in der Finsternis", (Joh., 1,5). Horst Köhler hat sich in den Schatten stellen lassen.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de