Zwischenruf Kein Wahlentscheid zum Kosovo
04.02.2008, 15:20 UhrDie Mehrheit der Serben hat sich mit der Wiederwahl von Präsident Boris Tadic für eine demokratische, der Europäischen Union zugewandte Entwicklung ihres Landes entschieden. Das Land scheint gespalten. Bei einer hohen Wahlbeteiligung von 67 Prozent hat der Amtsinhaber vor seinem Gegenspieler Tomislav Nikolic einen Vorsprung von gerade einmal 100.000 Stimmen.
Die Spaltung der Wahlbevölkerung verläuft aber nicht entlang der Frage eines Ja oder Nein zu einer Unabhängigkeit des Kosovo. Sowohl Tadic als auch Nikolic sind dagegen, dass sich die mehrheitlich von Albanern bewohnte Provinz auch de jure aus dem Staatsverband herauslöst. Auch der einst als "prowestlich bejubelte serbische Ministerpräsident Vojislav Koštunica hält das Kosovo für einen untrennbaten Bestandteil seines Landes. Koštunica übrigens hatte sich gegen Tadic gestellt, was nun eine innenpolitische Krise auslösen und zu vorgezogenen Parlamentswahlen führen kann.
Keine Stabilisierung
F ür das Votum der Nikolic-Anhänger war auch die Hoffnung der Landbewohner und der armen urbanen Schichten auf Besserung der sozialen Lage ausschlaggebend. Nun bekleidete der in der unseligen Tradition der Tschetniks stehende Nikolic jedoch Spitzenämter unter dem vorgeblichen Sozialisten Slobodan Milosevic. Als solcher ist er mitverantwortlich für den Raubtierkapitalismus, der zu einer Pauperisierung gerade in den ländlichen Gebieten geführt hat. Doch politische Gedächtnisse sind bekanntlich kurz. Tadic hat seine Mehrheit vor allem in den großen Städten erzielt, wo ihm vorrangig Reichgewordene, Mittelständler und Angestellte folgten.
Mit dem Urnengang vom Sonntag haben sich die Verhältnisse in Serbien mithin keineswegs zugunsten einer Unabhängigkeit des Kosovo gewandelt. Sollte die albanische Führung in Priština diesen Schritt nun einseitig vollziehen, sind die Serben wieder eins. Selbst wenn das Kosovo dem erst 1958 geborenen Tadic wie einem Teil der städtischen Bevölkerung eigentlich egal ist. Die Folge: eine Fortdauer der instabilen Lage auf dem westlichen Balkan.
Waffengewalt nicht ausgeschlossen
Mögliche Szenarien: Erstens kann sich der serbisch besiedelte Teil des Kosovo unter den "Schutz Serbiens" stellen, in welcher juristischen Form auch immer. Zweitens können die Bestrebungen, die serbische Entität in Bosnien-Herzegowina enger an das "Mutterland" zu binden, zunehmen. Drittens können die Albaner in Mazedonien fordern, in eine unabhängige "Republik Kosova" einbezogen zu werden. Wenn auch mit einem militärischen Eingreifen Serbiens nicht zu rechnen ist, so können viertens die im Untergrund fortbestehenden paramilitärische Tschetnik-Milizen zu Terror gegen die Kosovoalbaner greifen. Bewaffnete Konfrontationen mit der faktisch nie aufgelösten albanischen "Kosovo-Befreiungsarmee wären dann fünftens nicht auszuschließen. Sechstens schließlich erhielten Bestrebungen ein "Groß-Albanien unter Einschluss der Republik Albanien zu bilden neue Impulse.
Internationale Auswirkungen
Russland wird sich mit einer Anerkennung "Kosovas" durch die EU und die USA nicht abfinden. Militärische Drohgebärden machen sich im Vorfeld der Präsidentenwahlen in der Russischen Föderation im März nicht schlecht. Moskau könnte seine Drohung wahr machen, die auf georgischem Territorium liegenden Teilrepubliken Abchasien und Süd-Ossetien zu Protektoraten zu erklären, deren Anschluss an Russland oder deren Unabhängigkeit zuzustimmen. Zudem werden in Spanien baskische und katalanische Bestrebungen nach mehr Selbstständigkeit gestärkt.
Die Entwicklung in und um das ehemalige Jugoslawien hätte verhindert werden können, wenn die EU Anfang der 90er Jahre allen Teilrepubliken eine Beitrittsperspektive geboten hätte. Nun steht Europa vor einer weiteren Phase schwerer Turbulenzen in einer Region, die nur zu Titos Zeiten weitgehend befriedet war.
Quelle: ntv.de