Zwischenruf Konferenzeuropa oder Herzenseuropa?
25.03.2007, 17:02 UhrVon Manfred Bleskin
Nun ist die Kuh vom Eis: Alle 27 Staats-und Regierungschefs der Europäischen Union haben die "Berliner Erklärung" unterschrieben. Entscheidenden Anteil daran haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier, die buchstäblich bis zur letzten Minute mit den Partnern daran gefeilt hatten, so dass schlussendlich alle signieren konnten. Die viel beschworene europäische Einheit bleibt gewahrt. Das ist das Positive. Negativ zu Buche schlägt, dass der Text so allgemein gehalten ist, dass er einem jeden die Möglichkeit der Interpretation offen lässt.
Nun gibt es einen Zeitplan, den mittlerweile zu einer "erneuerten gemeinsamen Grundlage" herab gestuften Verfassungsvertrag zu erarbeiten. Bis zu den nächsten Europawahlen im Juni 2009 soll der Wortlaut stehen. Das wiederum sollte die Euroskeptiker in die Pflicht nehmen. Sollte. Denn kaum ist die Tinte trocken, meldet sich Polens Präsident Lech Kaczyński zu Wort und sagt, dies wäre nicht zu schaffen. Hinzu kommt: Wenn schon die "Erklärung" der kleinste gemeinsame Nenner ist, wie groß und breit kann dann die Übereinstimmung bei einer abgespeckten Verfassung sein?
Die "Berliner Erklärung" enthält viele gute Aussagen. So soll die Armut bekämpft werden. Der Schlüssel zu Beschäftigung läge im Wissen und Können der Menschen. Das klingt zwar nach "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied", aber immerhin. Das Ziel die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, taucht aber nirgendwo auf. Da war man in der Lissabonner Erklärung von 1996 schon einmal weiter. Damals wurde formuliert, die Europäische Union strebe Vollbeschäftigung an. Die Europäerinnen und Europäer seien "zu ihrem Glück vereint". Auch das liest sich gut. Die meisten Menschen auf dem Alten Kontinent sehen das aber nicht so. Nur gut ein Viertel der Deutschen beispielsweise meint, das sie von der EU profitieren, wie eine Telefonumfrage von n-tv ergab. Das ist bannig wenig. Bundespräsident Horst Köhler hat Recht, wenn er vom "Konferenzeuropa" spricht, das dem Leben der Bürgerinnen und Bürger mehr Aufmerksamkeit widmen müsse. Man kann keine Menschen für die EU machen, wohl aber eine EU für die Menschen.
Dazu wird es mehr europäische Demokratie brauchen. Solang die Europäische Union de facto von einer Bürokratenkaste beherrscht wird, bleibt Misstrauen. Woher soll auch mehr Vertrauen kommen, wenn Kommissionspräsident Jos Manuel Duro Barroso sagt, für das Soziale seien die nationalen Regierungen zuständig, die EU kümmere sich um Markt und Wirtschaft? Europa muss auf eine gemeinsame, sozial gerechte Grundlage gestellt werden. Dies sollte Grundlage der "erneuerten gemeinsamen Grundlage" sein. Dann, und nur dann kann die "Europäische Union ... unumkehrbar werden in den Köpfen und in den Herzen", wie’s der Bundespräsident angemahnt hat.
Quelle: ntv.de