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Friedensnobelpreis für die EU Langweilig und doch ein Segen

Die Europaflagge ist blau.

Die Europaflagge ist blau.

(Foto: dapd)

Die EU ist ein Selbsthilfeprojekt, eine permanente Diskussionsveranstaltung. Und dafür gibt es den Friedensnobelpreis? Natürlich! Denn genau darum geht es: um langweilige Krisengipfel, um einschläfernde Kompromisse. Und um Freiheit, Gleichheit und Solidarität.

Alljährlich sorgt das Komitee zur Vergabe des Friedensnobelpreises für eine Überraschung. Nicht selten besteht die darin, dass kaum jemand die Preisträger kennt. Meist liegt genau darin die Spannung: Wer etwa kannte Ellen Johnson Sirleaf, Leymah Gbowee oder Tawakkul Karman, die drei Preisträgerinnen von 2011?

Europa kennt jeder, von Europa hören wir täglich, längst ist Europa langweilig geworden. Wer dafür sorgen will, dass seine Zuhörer zuverlässig einschlafen, sollte über Themen sprechen wie "mehr Europa", Vertiefung und Integration, Staatenbund und Bundesstaat. Oder über die europäische Krise. Wann hat die eigentlich begonnen? War Europa nicht immer in der Krise?

Blau ist die Hintergrundfarbe des Friedens.

Blau ist die Hintergrundfarbe des Friedens.

(Foto: dapd)

Nicht einmal in seinen Sternstunden war Europa auch nur in der Nähe dessen, was man guten Gewissens eine echte politische Einheit nennen könnte. In Wahrheit ist Europa ein Selbsthilfeprojekt, eine permanente Diskussionsveranstaltung: Immer und immer wieder versuchen die europäischen Regierungen in endlosen und ermüdenden Debatten, einen Konsens unter den mittlerweile 27 Mitgliedsländern herzustellen.

Klingt schrecklich? Gewiss. Und doch ist die ewige Suche nach einem Konsens der Kern des europäischen Projekts. Mittlerweile sind die europäischen Regierungen auf das Engste miteinander verzahnt. Und genau das ist der Sinn der Sache.

Ein Wert an sich

Alfred Nobel verfügte in seinem Testament, dass der von ihm gestiftete Friedenspreis an denjenigen gehen solle, "der am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt hat". Der Satz ist wie geschrieben für die EU. Politikern wie Adenauer, Brandt, Schmidt und Kohl war immer klar, dass Frieden in Europa keine Selbstverständlichkeit ist, sondern das Ergebnis harter politischer Arbeit.

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union war seit zwanzig Jahren überfällig. Allen Irrtümern und Unzulänglichkeiten zum Trotz: Europa ist das wichtigste und erfolgreichste Friedensprojekt des 20. Jahrhunderts. In ungezählten Sonntagsreden ist es immer wieder gesagt worden, und dennoch bleibt es richtig: Friedenspolitisch kann die Bedeutung des europäischen Projekts nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Das schlechteste aller möglichen Bündnisse ...

Zugleich ist Europa mehr als die Abwesenheit von Krieg. Europa ist die Alternative zu totaler Kontrolle und schrankenloser Freiheit, der dritte Weg zwischen China und den USA, die Verbindung von Freiheit und Gleichheit (die keinen Gegensatz bilden, wie häufig angenommen wird, sondern "Zwillinge" sind, wie Bundespräsident Joachim Gauck treffend formulierte). Wie keine andere Weltregion steht Europa für Solidarität, für Nachhaltigkeit, für gute Politik. Für die EU gilt, was Winston Churchill über die Demokratie sagte: Die Europäische Union ist das schlechteste aller möglichen internationalen Bündnisse - außer denen, die bereits ausprobiert wurden.

Mitunter bestand die Überraschung bei der Auswahl des Friedensnobelpreisträgers in einem Fehlgriff. Es ist eine Frage des Geschmacks, ob es wirklich sinnvoll war, die Internationale Atomenergie-Organisation auszuzeichnen, deren Ziel nicht nur die Verhinderung des Missbrauchs von Atomenergie ist, sondern auch die Nutzung der Kernkraft für zivile Zwecke. Auch die Verleihung des Friedensnobelpreises an US-Präsident Barack Obama war sicherlich gut gemeint, aber dennoch keine gute Idee.

In diesem Jahr ist das anders. Die Europäische Union ist ein außergewöhnlich würdiger Preisträger. Niemals zuvor in der Geschichte Europas gab es eine so lange und so stabile Friedenszeit wie zwischen den Mitgliedern dieser Union. Das mag langweilig sein. Es bleibt ein Segen.

Quelle: ntv.de

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