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Zwischenruf Libyen: Ende oder Anfang einer Irrfahrt?

Auch in Bahrain und im Jemen eskaliert derzeit der Konflikt zwischen den Herrschenden und den Regimekritikern. Aber in Libyen greift der Westen militärisch ein. Das Ziel der Operation ist unklar.

Die Operation "Odyssey" birgt große Gefahren.

Die Operation "Odyssey" birgt große Gefahren.

(Foto: REUTERS)

Man muss annehmen, die einen hätten das Recht ihre Landsleute zu erschießen und die anderen nicht: Im Kugelhagel der jemenitischen Armee werden in der Hauptstadt Sanaa 46 Demonstranten getötet. In Bahrains Kapitale Manama lassen sechs Menschen ihr Leben, nachdem zuvor saudische und wohl auch emiratische Truppen in den strategisch bedeutsamen Inselstaat im Persischen Golf einmarschiert sind, zum Schutz des sunnitischen Königshauses gegen die zumeist schiitischen Regimekritiker.

Muammar al-Gaddafis Diktatur ist nicht wesentlich besser oder schlechter als die autokratischen Systeme im Jemen, in Bahrain oder in anderen arabischen Staaten. Allerdings verfügt das nordafrikanische Land im Unterschied zu anderen über enorme Erdölreserven. Zudem hat Libyen in unmittelbarer Nachbarschaft Europas eine immense strategische Bedeutung. Nach seiner fragwürdigen Rehabilitierung des Schreibtischmörders durch den Westen war der wirre Geist so lange willkommen, wie er sich als verlässlicher Partner gegen Massenexodus in die Europäische Union und zahlungskräftiger Käufer westlicher Waffen erwies. In dem Maße, wie Gaddafi dieser Rolle verlustig ging, nahm seine Bedeutung für den Westen ab. Die Doppelbödigkeit wird vollends sichtbar, wenn Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Teilnahme von Mirage-Kampfflugzeugen an den Luftangriffen verbietet, weil diese mit jenen Flugzeugen vom selben Typ verwechselt werden könnten, die sein Land zuvor an den Diktator von Tripolis verkauft hatte.

Zum Schutz des libyschen Volkes?

Als ein Sieg der regimetreuen Truppen über die Aufständischen offenkundig wurde, drohte aus der Sicht vieler westlicher Staaten eine Rückkehr Gaddafis zu seiner früheren Rolle als unsicherer Kantonist, ja als Staatsterrorist und Terrorsponsor im Ausland. Der Schutz des libyschen Volkes vor den Gewehren des Diktators kann nur bedingt als Rechtfertigung dienen. Erstens weiß Gaddafi immer noch einen beträchtlichen Teil der Libyer hinter sich, und zweitens hätten französische, britische und US-amerikanische Maschinen dann längst schon Sanaa und Manama bombardieren müssen. Was im letzteren Fall insofern fatal wäre, als dann vielleicht auch der Stützpunkt der 5. US-Flotte getroffen werden könnte. Vom Stillhalten im Falle Ägyptens und Tunesiens ganz zu schweigen.

Es ist richtig, dass sich Deutschland nicht an den militärischen Operationen im Norden Afrikas beteiligt. Das Ziel der Operationen ist unklar, zumal US-Generalstabschef Michael Mullen sagt, es gehe nicht darum Gaddafi zu stürzen. Zudem ist offen, wie lange dessen Truppen Widerstand leisten. Falls sich der Krieg länger hinzieht, wird die Entsendung von Bodentruppen unerlässlich. Die Gefahr ist groß, dass die "Odyssey Dawn", etwa: Morgengrauen der Odyssee, getaufte Operation zum Beginn einer Irrfahrt zwischen den Gestaden des Mittelmeers und der libyschen Wüste wird.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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