Ecken und Kanten Mehr Sodanns braucht das Land
23.05.2009, 14:08 UhrPeter Sodann hat keine Chance – er sollte sie nutzen! Seine Kandidatur ist eine Belebung der angestaubten bundesdeutschen Demokratie. Ein erfreulicher Farbklecks neben dem grauen Einerlei.
Aufmüpfiger Ossi, intellektueller Künstler, schratiges Gemüt und links von der angeblichen Mitte: Das konnte ja nicht klappen im ach so toleranten Deutschland. Präsidenten-Kandidat Peter Sodann hat keine Chance am Samstag – er sollte sie nutzen! Er sollte aufrecht gehen, erhobenen Hauptes, und er sollte sich sicher sein, dass er ein legitimes Recht nutzt. Er ist über 40, deutscher Staatsbürger, besitzt das Recht zur Wahl und darf somit Bundespräsident werden. So wie jeder andere, der diese Bedingungen erfüllt.
Natürlich hat die Linke ihn nicht aufgestellt, weil sie sich ernsthaft Chancen für ihn ausgerechnet hat. Solange das Staatsoberhaupt nicht vom Staatsvolk gewählt wird, was sehr zu bedauern ist, ist das Treffen der Bundesversammlung eben eine parteipolitische Show. Die Linke hat Sodann aufgestellt, weil sie das weiß. Sie wollte im Gerangel um das Staatsoberhaupt überhaupt eine Rolle spielen – irgendeine. Sodann war das klar. Natürlich, denn auf den Kopf gefallen ist er nicht.
Sodanns Rolle in diesem Spiel ist tragisch. Nicht, weil er verlieren wird, sondern weil er etwas repräsentieren will, das stets alle fordern, dann aber nicht ertragen können: Tugenden. Kantigkeit? Ja, vorhanden. Ehrlichkeit? Ja, kein Zweifel, vielleicht sein größtes Problem. Nachdenklichkeit? Ohne Frage. Eine klare Position? Auch das. Geradlinigkeit und Rückgrat? Als Student wurde er einige Monate inhaftiert, weil seine Auftritte im Kabarett als "konterrevolutionär" galten.
Kein rundgelutschter Polit-Mann
Was wird nicht immer geschimpft auf die aalglatten Polit-Schauspieler, die ihre von einem Stab an Pressereferenten durchgekauten Drei-Satz-Statements in jedes Mikrofon sagen. Was wird nicht immer nach "Typen" gerufen und bedauert, dass es diese nicht mehr gebe, à la Brandt, Strauß, Schmidt und Wehner. Was wird nicht immer gemeckert über das Wischi-Waschi aus Berlin, das kein Links, kein Rechts und keine Mitte mehr kennt. Doch wenn dann einer kommt, der sagt, was er denkt – dann machen wir ihn fertig.
Ein Politik-Profi ist Sodann nicht. Seine polterige, verschrobene Denke, seine Dauer-Ironie und seine permanente, manchmal penetrante Überspitzung beweisen das. Und er weiß nicht, wie man die Medien-Demokratie füttert. Dass man nur 30 Sekunden Zeit hat, um etwas Staatstragendes zu sagen. Dass drei Sekunden Nachdenken schon ein Aussetzer sind. Dass Ironie in Interviews meist nicht rüberkommt. Sodann funktioniert nur in der Rolle Mensch, nicht in der Rolle Politiker. Doch wo steht, dass nicht auch ein Mensch Bundespräsident werden darf?
Wenn jemand an der Demokratie zweifelt, dann heißt das nicht zwingend, dass er sich einen Stalin wünscht. Es kann, so wie bei Sodann, auch bedeuten, sich der Lage bewusst zu werden. Und dass unsere Demokratie nach 60 Jahren durchaus starke Schwächen hat, ist für Politikwissenschaftler jeder Coleur schon lange eine Binsenweisheit. Eine Demokratie ist nicht einfach da und fertig – sie muss gestaltet werden, und es gibt tausend Schalter, an denen man drehen kann.
Ich will ehrlich bleiben: Sodann als "Tatort"-Kommissar hat mir nie gefallen. Ich bevorzuge eindeutig die Teams Odenthal/Kopper und Ballauf/Schenk. Für die Traute, den Kopf in den scharfen Wind der Kandidatur zu stecken und die Demokratie um einen Farbklecks zu bereichern, gibt es aber viel Respekt. Viel zu wenige trauen sich das. Und eine "Berliner Rede" von Sodann hätte ich auch gerne gehört – da wäre außer einer stereotypen, kopfnickenden Zustimmung von Merkel, Westerwelle und Co. wenigstens was los gewesen.
Quelle: ntv.de