Israel gesteht Fehler ein Misstrauen zahlt sich aus
23.04.2009, 10:10 UhrAm Neujahrstag veröffentlichten wir hier bei n-tv.de einen Bericht über eine israelische Attacke am 29. Dezember auf einen Lastwagen im Gazastreifen, der angeblich gerade mit Raketen beladen wurde. Eine Drohne filmte die Szene und deutlich war zu sehen, wie die vermeintlichen Raketen quer zur Ladefläche geladen und mit den Füßen hin- und hergerollt wurden. Bekanntlich haben Kassamraketen angeschweißte Flügelchen und können nicht einfach gerollt werden. An jenem Abend verschickte die israelische Menschenrechtsorganisation Betzelem Fotos und Augenzeugenberichte. Standhaft wurde da behauptet, dass es sich um Sauerstoffkanister handelte, wie sie in Krankenhäusern verwendet werden, gleichwohl aber auch zum Schweißen bei der Konstruktion von Raketen.
Eine Anfrage beim Militärsprecher ergab, dass es sich um "auseinandergeschraubte Gradraketen" handelte, deren Flügelchen erst nach dem Abschuss aufklappen. Das war "Hintergrund". Zur Veröffentlichung sagte der Militärsprecher: "Die Bilder sprechen für sich."
Da die Bilder keineswegs "für sich sprachen", nutzten wir am nächsten Tag die Gelegenheit, dem Direktor des israelischen Presseamtes, Dani Seaman, bei einer Diskussion im Knessetfernsehen dazu Fragen zu stellen. Der Sender hatte sich vorsorglich die Drohnenaufnahmen besorgt, und zeigte sie. Seaman war von der Darstellung des Militärsprechers, es handle sich um auseinandergeschraubte Gradraketen, fest überzeugt. "Glaubst Du etwa der Hamas-Propaganda", konterte er öffentlich in der live-Sendung. Erst nach der Sendung gestand er, dass unsere Fragen durchaus legitim seien. Er wolle sich bei seinen Kontakten um Aufklärung bemühen.
Aufklärung fünf Monate später
Erst jetzt, fast fünf Monate später, kam die Aufklärung. Das israelische Militär hatte zahlreiche Vorfälle während des Gazakrieges untersucht und dazu Auszüge aus einem internen Report an die Presse weitergegeben. Neben dem durchgestrichenen Wort "vertraulich" ist da angemerkt, dass die nachfolgenden Angaben nur der Reporter sich selber zuschreiben dürfe, ohne weitere Angabe der Quelle. Sei es drum.
Zu einem Lastwagen, der am 29. Dezember 2008 angeblich Sauerstofftanks geladen habe heißt es da: "Auf den Lastwagen wurde gezielt, nachdem sich in überzeugender Weise Informationen gehäuft hatten, wonach der Lastwagen Raketen einer bekannten Raketenfabrik der Hamas zu einer ebenso bekannten Abschussstelle transportierte. Der Angriff wurde nahe einer bekannten Raketenfabrik der Hamas ausgeführt und nachdem eine Rakete abgeschossen worden war. Erst später stellte sich heraus, dass der Lastwagen Sauerstofftanks geladen hatte, die Gradraketen täuschend ähnlich sind. Der Angriff tötete vier Hamas-Aktivisten und vier unbeteiligte Zivilisten. Es ist wichtig anzumerken, dass die Sauerstofftanks höchstwahrscheinlich von der Hamas zur Herstellung von Raketen genutzt wurden."
Misstrauen weiter angebracht
Die "moralischste Armee in der Welt" - so Verteidigungsminister Ehud Barak - hat in ihrem jetzt erst halbwegs veröffentlichten Report zahlreiche Einzelfälle und das allgemeine Verhalten der Truppen untersucht. Erstmals gestand die Armee, dass tatsächlich Phosphormunition eingesetzt worden sei, aber nicht gegen die Zivilbevölkerung und nicht nur, um ein Rauchschild zu erzeugen. Es wurden auch Fehlschüsse und falsche geheimdienstliche Informationen eingestanden, denen dann ganze Familien zum Opfer fielen. Gleichwohl besteht die Armee darauf, dass in keinem einzigen Fall Soldaten gezielt und absichtlich Zivilisten erschossen hätten. Soldaten, die entgegen den Befehlen UNO-Fahrzeuge beschossen hätten, sollen strafrechtlich verfolgt werden. Das Eingeständnis von Fehlern und Fehlschüssen, unter anderem in dem speziell von uns recherchierten Fall der Bombardierung eines Lastwagens mit Sauerstoffflaschen, zeugt von einem aufrichtigen Bemühen, Fehler nicht unter den Teppich zu kehren. Misstrauen ist jedoch weiterhin angebracht.
Ob eine "unabhängige" UNO-Kommission, mit der Absicht, israelische Kriegsverbrechen aufzudecken, tatsächlich andere Ergebnisse ans Tageslicht bringen kann, darf bezweifelt werden. Ob jemals die gegnerische Kriegspartei, die Hamas im Gazastreifen, einen ähnlich aufrichtigen Reports über eigene "Fehler" veröffentlicht, darf ebenfalls bezweifelt werden.
Der Nahe Osten ist sein Metier. Ulrich W. Sahm berichtet seit Mitte der 70er Jahre aus der Region immer auf der Suche nach der Geschichte hinter der Nachricht.
Quelle: ntv.de