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Pressestimmen "Mit dem Kopf durch die Wand!"

Fast ein Jahr lang haben die Koalitionspartner über die Ausgestaltung der Gesundheitsreform gestritten. Heute nun hat sie den Bundestag passiert. Die Bundesgesundheitsministerin hatte in ihrer Schlussdebatte noch einmal kräftig für die Sache geworben. Es handele sich dabei um eine gute Reform, da sie dazu führe, dass künftig jeder in Deutschland gegen Krankheitsrisiken versichert sei, so Schmidt. Es sei ein "wichtiger Schritt, den wir mit diesem Gesetz gehen werden". Mit dieser Meinung dürfte die Ministerin ziemlich allein dastehen. Nachfolgend haben wir einige Pressestimmen zusammengestellt.

Die "Thüringische Landeszeitung" (Weimar) schreibt:
Eigentlich sind die Abgeordneten nur ihrem Gewissen verantwortlich und an Weisungen nicht gebunden. Eigentlich. Aber die Tricksereien, mit denen die Große Koalition ihre Gesundheitsreform durchs Parlament boxt, sind des Bundestages unwürdig. Und eigentlich müssten fraktionsübergreifend die Parlamentarier dagegen aufstehen. Eigentlich. Da werden Kritiker, vor allem in der SPD-Fraktion, abgestraft. Gesundheitsexperten wie Karl Lauterbach werden öffentlich gemaßregelt, wobei sich Fraktionschef Peter Struck ganz in der Tradition eines Herbert Wehner als gnadenloser Zuchtmeister erweist.

"Flensburger Tageblatt":
Als Gerhard Schröder zum "Basta"-Kanzler mutierte und er zur Durchsetzung seiner Ziele mit Rücktritt drohen musste, begann der Anfang vom Ende der rot-grünen Regierung. Die jetzigen Drohungen von SPD-Fraktionschef Peter Struck gegen die Kritiker der Gesundheitsreform in den eigenen Reihen sind vom selben Format. Denn wo die inhaltliche Auseinandersetzung unterbunden wird, ist nur noch abnicken oder blockieren möglich. Stillstand mithin. Allerdings hat Struck die Rechnung ohne die SPD-Linke gemacht. Sie wird wie weiland unter Kanzler Schröder umso aufmüpfiger agieren, je stärker die Parteispitze sie auf Linie zu trimmen versucht.

"Mittelbayerische Zeitung" (Regensburg):

Dass eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten der großen Koalition heute die Gesundheitsreform beschließen wird, steht außer Frage. Allerdings ist die Gesetzesoperation in mehrfacher Hinsicht mit schlimmen Nebenwirkungen verbunden. Der Druck etwa, den die Koalitionsspitzen auf Kritiker der Reform ausüben, ist nicht nur schändlich, sondern schlicht undemokratisch. Die Androhung auf Strafversetzung von unbotmäßigen Abgeordneten, wie sie etwa SPD-Fraktionschef Peter Struck geäußert haben soll, schrammt sogar hart an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit.

"Mitteldeutsche Zeitung" (Halle):
Zuallererst und bis zuletzt hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das magere Ergebnis zu verantworten. Zu keiner Zeit ist die Regierungschefin bereit gewesen, sich mit Engagement um eines guten Ergebnisses willen in die Bresche zu werfen. Offenbar geht es Merkel nicht darum, dem Land zu dienen. Das nämlich setzt Führungswillen voraus. Zumindest den Versuch, richtig Erkanntes gegen Widerstände durchzusetzen, darf man wohl erwarten. Stattdessen ist Machterhalt das Leitmotiv. Für die Reformen des Arbeitsmarktes und der Pflege verheißt das nichts Gutes. Auch da hat Merkel bisher kaum Prioritäten erkennen lassen.

"Bild-Zeitung" (Hamburg):
So was gabs im ehrwürdigen Bundestag noch nie! Die Große Koalition lässt heute mit ihrer Abstimmungsmacht eine Gesundheitsreform beschließen, vor der die renommiertesten Experten seit Monaten dringend warnen. Noch nie waren sich Sachverständigenrat, Ärzteschaft und Kassen so einig bei der Ablehnung eines neuen Gesetzes. Dass sich ausgerechnet die wenigen wirklichen Gesundheitsexperten unter den Abgeordneten während der Schlussberatung im Gesundheitsausschuss lieber von weniger sachkundigen Kollegen vertreten ließen, spricht für sich. Es ist, als ob die Blinden heute über die neue Farbe im Bundestag entscheiden. Den Spitzen der Großen Koalition geht es nur noch darum, ihr Gesetz mit aller Gewalt durchzubringen - notfalls mit dem Kopf durch die Wand! Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Beitragszahler und Patienten.

"Thüringer Allgemeine" (Erfurt):
Bundespräsident Horst Köhler dürfte bereits den Bleistift spitzen. Befragt man den gesunden Menschenverstand, so gibt es genug Gründe, das Gesetz, das heute durch den Bundestag gedrückt wird, genauestens zu prüfen. Was bereits im Juli als großer Durchbruch verkündet wurde, durfte nicht mehr scheitern. Doch das monatelange Gezerre hat die Frage nicht beantwortet, wie das Gesundheitswesen gerechter finanziert werden kann, ohne dass die Kosten weiter steigen. Wahrscheinlich ist, dass das Gesetz beim Bundesverfassungsgericht landet. Mit Sicherheit aber ist es eine Reform, von der alle wissen, dass sie so schnell wie möglich reformiert werden muss.

"Rhein-Neckar-Zeitung" (Heidelberg):
Die Koalitionsabgeordneten werden heute mehrheitlich einer in sich unstimmigen Gesundheitsreform zustimmen. Weil sie meinen, nicht anderes zu können. Gleichwohl wissen sie aber schon, dass spätestens ab 2009 die größte Reformbaustelle wieder geöffnet werden wird. Was ist das für ein Politikverständnis? Die Gesundheitsreform ist zum Schlüsselstein des schwarz-roten Bündnisses hochgeredet worden, ohne den die Koalition angeblich zusammenbricht. Damit sollte Einigungsdruck aufgebaut werden. Das ist auch geschehen. Aber das Ergebnis ist kein Kompromiss, sondern komprimierter Murks. Und vor allem, es ist in seiner bürokratischen Monströsität gar nicht mehr vermittelbar.

"Nordbayerischer Kurier" (Bayreuth):Für die Koalition ist die Hauptsache, dass die Mehrheiten im Parlament gesichert sind. Und das sind sie wohl, weil bei einem Scheitern das Regierungsbündnis mit einem Knall zerplatzen würde. Das will jetzt niemand in Berlin, also Augen zu und durch. Für ein paar Jährchen wird's schon wieder gut gehen, und dann kommt eine andere Regierung ans Ruder, die wieder reformieren wird. Zweifel sind erlaubt, ob das Herz der jetzigen Reform, der Gesundheitsfonds, jemals schlagen wird. Bis zum Stichtag im Jahr 2009 ist noch lange hin. Das wäre, wenn die Koalition so lange halten sollte, ein Wahljahr, in dem unpopuläre Maßnahmen erfahrungsgemäß selten ergriffen werden.

"Badische Neueste Nachrichten" (Karlsruhe):
Eines, immerhin, ist den Koalitionären gelungen. Sie haben die Reform so angelegt, dass für die Zeit nach 2009 alles offen ist. Wer auch immer die nächsten Wahlen gewinnen sollte, kann problemlos sein jeweiliges Konzept weiterentwickeln -die Union die Kopfpauschale und die SPD die Bürgerversicherung. Denn das ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Die nächste Reform kommt bestimmt.

"Kölner Stadt-Anzeiger":
Zuallererst und bis zuletzt hat Angela Merkel das magere Ergebnis zu verantworten. Zu keiner Zeit war die Kanzlerin bereit, sich in die Bresche zu werfen -um eines guten Ergebnisses willen. Wer "dem Land dienen" will, der muss es führen wollen. Und zumindest darf man einer Regierungschefin wohl den Versuch erwarten, als richtig Erkanntes gegen Widerstände durchzusetzen. Doch offenbar war Merkel der Machterhalt wichtiger. Für die Reformen des Arbeitsmarktes und der Pflegeversicherung verheißt das nichts Gutes. Auch hier hat Merkel bisher kaum zu erkennen gegeben, wo sie die Prioritäten sieht und setzt. Die Koalitionsparteien sind munter dabei, Gesetze zu entwerfen, deren Rechtfertigung sich im "Wir haben verhindern können, dass. .." erschöpft.

"Ostsee-Zeitung" (Rostock):
Wenn eine Mehrheit der Abgeordneten der Großen Koalition heute die Reform des Gesundheitssystems beschließt, dann ist das in mehrfacher Hinsicht mit schlimmen Nebenwirkungen verbunden. Der Druck, der von den Koalitionsspitzen auf Kritiker ausgeübt wird, ist nicht nur schändlich, sondern undemokratisch. Er schrammt bedenklich die Grenzen der Verfassungsmäßigkeit. Abgeordnete sind niemandem außer ihrem Gewissen verpflichtet. Auch Fraktionschefs sind keine Zuchtmeister, die kritischen Kollegen mit Strafversetzung drohen dürfen. Von Fraktions- oder Koalitionsräson steht im Grundgesetzt kein Wort. Diese Reform trägt den Makel, im Interesse der Machterhaltung von Union und SPD durchgepeitscht worden zu sein. Das Schwarz und Weiß der unterschiedlichen Reformkonzepte der Koalitionspartner wurde zu einem grauen Gesetzeskuddelmuddel verrührt.

"Mannheimer Morgen":Das monatelange Gezerre um die Gesundheitsreform endet, wie es begonnen hat: als Trauerspiel. Wenn die Abgeordneten zur Urne schreiten, geht es nur noch am Rande um das Gesetz und dessen Folgen für Patienten und Versicherte, sondern ausschließlich darum, dass die Große Koalition nicht schon nach 14 Monaten an sich selber scheitert. So gilt das Ja der Abgeordneten allein der Koalition und deren Fortbestand, nicht der Reform. Gescheitert ist die Koalition dennoch an ihren eigenen Ansprüchen und den selbst gesteckten Zielen.

Quelle: ntv.de

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