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Regierungskrise in Berlin Noch ein paar solcher Wochen und von der Koalition bleibt nichts übrig

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Bricht die Koalition demnächst seufzend auseinander?

Bricht die Koalition demnächst seufzend auseinander?

(Foto: picture alliance/dpa)

Bundeskanzler Scholz kopiert seine Vorgängerin, aber die Zeiten sind andere. Dass in Berlin über Neuwahlen gesprochen wird, ist mehr als eine Fantasie der Union. Die Koalition befindet sich in einem Zustand der vollständigen Verknotung.

Selbstverständlich gehört es zum Repertoire der größten Oppositionspartei, bei erstbester Gelegenheit mit Neuwahlen zu kokettieren. Erst recht gilt das, wenn die amtierende Regierung Schwäche zeigt, zerstritten ist und bei großen Teilen des Wahlvolkes in Misskredit. CDU-Chef Friedrich Merz liefert also, was von ihm erwartet wird: Er attestiert der Bundesregierung einen derart desolaten Zustand, dass sie noch vor Ende der Legislaturperiode auseinanderfallen könnte. Und die Frage ist nicht allein: Wird sie wirklich? Sondern auch: Hat Merz recht?

Und man muss sagen: Er hat. Da können die Vertreter der Regierungsparteien bis hinauf zum Kanzler hundertmal spöttisch abwinken. Dass das Wort von "Neuwahlen" am Ende dieser denkwürdigen Woche durch die Hauptstadt geht, ist mehr als nur die langweilige Pflichtübung einer CDU/CSU, die in Umfragen gut zehn Prozentpunkte vor der Kanzlerpartei SPD rangiert.

Die Bundesregierung ist eine bis dato nie geübte Dreierkoalition in extrem ungewöhnlichen Umbruch-Zeiten. Geführt wird sie vom Kanzler im Routinemodus der Zweierkoalitionen seiner Vorgängerin. Olaf Scholz kopiert Angela Merkel, aber die Zeiten sind in vielfacher Hinsicht ganz andere. Das kann nicht gut gehen.

Und es geht auch nicht gut.

Das Versprechen eines "neuen Politikstils", das am Anfang der Ampel stand, es ist zerrieben und zerbröselt. Dazu gehörte das gegenseitige Vertrauen der drei Parteien, dass nötige Kompromisse nicht dauerhaft auf Kosten einer Seite allein gehen. In der komplizierten Welt zu dritt ist es genau dieses Vertrauen, das Kompromisse überhaupt erst ermöglicht. Es ist weg.

Ob nach 30 Stunden Koalitionsausschuss im Kanzleramt oder nach einer Notfall-Therapiesitzung zu dritt im Bundestag wie diese Woche: Nach jeder "Einigung" sind wichtige Punkte offen oder sie werden noch einmal geöffnet - und das Vertrauen untereinander jeweils ein Stück weiter verschlissen. Wenn der Bundeskanzler die Einigung auf Eckpunkte oder "Leitplanken" des Heizungsgesetzes als Sieg der Vernunft verkauft, kann man nur antworten: Noch ein paar solcher Siege, und von der Koalition ist gegen Jahresende nichts mehr Nennenswertes übrig.

Ohne Vertrauen untereinander besteht aber jede Seite darauf, dass alles mit allem zusammenhängt: das Heizungsgesetz mit dem Planungsbeschleunigungsgesetz zum Windkraftausbau, mit dem Bundeshaushalt, mit dem CO2-Reduzierungsprogramm des Verkehrsministers, mit der Kindergrundsicherung der Familienministerin und so weiter und so fort. Wenn aber alles mit allem zusammenhängt, ist nichts davon endgültig geklärt, bevor nicht alles geklärt ist. In diesem Zustand der vollständigen Verknotung bei verschwundenem Vertrauen befindet sich die Regierungskoalition nun. Bricht sie demnächst also seufzend auseinander, wie es sich nicht wenige Grüne schon wünschen?

Möglich ist es. Besonders wahrscheinlich aber nicht.

Bezeichnend ist dabei, warum ein vorzeitiges Ende der Regierungskoalition nicht besonders wahrscheinlich ist: Weniger, weil in nächster Zeit besonders kluge und geschmeidig gefasste Beschlüsse zu erwarten sind, also eine Art tätiger Reue für den ganzen Murks der letzten Wochen rund um das Heizungsgesetz. Nein: Die Regierung wird wohl beisammen bleiben, weil das Auseinandergehen Neuwahlen nach sich zöge - und für keine einzige der drei beteiligten Parteien etwas Gutes brächte. Das ist eine unwürdig schlechte Rechtfertigung für den Fortbestand. Nur "Sesselkleben wegen der Pensionsansprüche" wäre noch schlechter.

Das Problem ist freilich noch vertrackter: Neuwahlen würden nach gegenwärtigem Ausblick den mehrheitlich unzufriedenen Bürgern nicht viel helfen. Eine neue Dreierkoalition (dann unter einem CDU-Kanzler) wäre alles in allem wahrscheinlicher als eine Zweierkoalition (der CDU/CSU mit den verzweifelt wütenden Grünen). Viel stabiler oder friedlicher als die amtierende Regierung sähe das gewiss nicht aus.

Nicht nur ist die Bundesregierung ist auf die Unterstützung der Leute angewiesen, die sie dringend zurückgewinnen muss. Auch die Leute sind auf die Bundesregierung angewiesen. Sie kriegen nämlich so schnell keine wirklich andere. Also auch keine wirklich bessere.

Quelle: ntv.de

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