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Zwischenruf Oettinger: Der neoliberale Kutscher

Oettinger spricht zwar manchmal schneller als er denkt.

Oettinger spricht zwar manchmal schneller als er denkt.

(Foto: dpa)

EU-Energiekommissar Oettinger macht wieder einmal einen Rundumschlag gegen alles, was nach seiner Meinung in der Gemeinschaft im Argen liegt. Der Steinewerfer vergisst, dass er selbst im Glashaus sitzt. Von dort aus wettert er gegen die "Sozialdemokratin" Merkel.

Fettnäpfchen, um es einmal nett auszudrücken, waren stets Objekt der Begierde des früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Ob dessen unsäglichen Aussagen über die Nazi-Vergangenheit seines einstigen Vorgängers Hans Filbinger, die obskuren Vorschläge zur öffentlichen Brandmarkung defizitärer Mitgliedsstaaten, die wirtschaftsbelebende Kraft von Kriegen, die Verbandelung der Lebensgefährtin des Stuttgart-21-Befürworters mit dem umstrittenen Projekt, um nur einige zu nennen. Nun also das Verdikt über die Organisation, in dessen Führungsetage er sitzt.

Freilich ist Kritik an der Europäischen Union, ihrer Kommission, deren Krisenmanagement und dem Zustand einiger EU-Mitgliedsstaaten berechtigt und erforderlich. Nur vergisst Oettinger, dass er als früherer Landesvater und jetziger Kommissar für Energie kräftig dazu beigetragen hat, dass die von ihm kritisierten Zustände entstanden sind. Sein Urteil über die Unregierbarkeit Bulgariens, Italiens und Rumäniens trägt nicht dazu bei, die Lage zum Besseren zu wenden.

Im Gegenteil: Die konservativen Kreise jener Länder, zum großen Teil an der jetzigen Lage Schuld, müssen sich in ihrer Rolle als selbsternannte Retter der Nation bestärkt sehen. Wer Frankreich eine Rosskur à la Agenda 2010 anempfiehlt, vergisst deren verheerende soziale Folgen. Im Falle unseres Nachbarlandes verzichtet er sogar darauf, seine Forderungen nach niedrigeren Pensionen mit dem beliebten Wort Rentenreform zu umschreiben. Er spricht offen von Kürzungen. Angesichts der latenten Spannungen zwischen Berlin und Paris wirken die Äußerungen des d e u t s c h e n Kommissars wie Öl, das ins Feuer gegossen wird. Auch am Verhältnis zu Großbritannien zündelt Oettinger. Teile der Tories von Premierminister David Cameron mit der reaktionären Tea Party in den USA zu vergleichen ist ungefähr so genial wie das Unwort von der "spätrömischen Dekadenz".

Die Giftpfeile des CDU-Mitglieds und gewesenen Andenpaktlers in Richtung Bundeskanzleramt sind objektiv Bestandteil der Kanonade des konservativen Flügels der Union auf die "Sozialdemokratin" Angela Merkel. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat Unrecht, wenn er meint, Oettinger wäre "der Gaul durchgegangen". Oettinger ist Kutscher eines neoliberalen Sulky, der sein Pferd antreibt.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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