Zwischenruf 340 Säbel bleibt in der Scheide
30.04.2007, 17:43 UhrVon Manfred Bleskin
Das Vermächtnis hatte Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk der Armee vor mehr als 80 Jahren in die Wiege gelegt: Garant der Republik und der Trennung von Staat und Religion. Diesem Vermächtnis versuchen die Streitkräfte, mit weit über einer halben Million Soldaten in der NATO die zweitstärksten nach denen der USA und nebenher auch eine beachtliche Wirtschaftsmacht, seither auf höchst eigenwillige Weise gerecht zu werden.
Bereits drei Mal hat das mächtige Militär geputscht, die Folge war jedesmalig jahrelange brutale Repression und Diktatur. 1960 wurde sogar der rechtmäßige gewählte Regierungschef Adnan Menderes hingerichtet. Solch Schicksal brauchen weder Ministerpräsident Tayip Erdogan noch Abdullah Gül zu fürchten, sollte dieser zum Staatsoberhaupt gewählt werden.
Der moderne coup d’etat beim immer noch nicht ganz gesunden Mann am Bosporus sieht anders aus: Der Säbel bleibt in der Scheide. 1997 reichte es, den damaligen Premier Necmettin Erbakan mit einer Drohung aus dem Amt zu hieven. Der diesmalige Wink mit dem Gewehrkolben reichte aus, dass Erdogan auf eine eigene Kandidatur verzichtet. Andererseits lässt sich aber auch der einstige Islamist nicht den türkischen Honig vom Brot nehmen: Mit seiner harschen Reaktion, die Armee würde ihre Kompetenzen überschreiten, hatte sich zum ersten Mal ein türkischer Zivilpolitiker so weit aus dem Fenster gelehnt und war nicht heraus gefallen.
Allerdings ist fraglich, ob es – wie er sagte – stimmt, dass die Streitkräfte dem Ministerpräsidenten unterstellt sind. Den Oberbefehl hat der Generalstabschef, der üblicherweise in Abstimmung mit dem Präsidenten handelt. Da liegt der Hund begraben: Sollte der gegenwärtige Außenminister, wie sein Parteifreund an der Regierungsspitze einst ausgewiesener Islamist mit Kopftuch tragender Gattin, in das höchste Staatsamt gelangen, müsste die Armee im Ernstfall nach der Wasserpfeife eines wertkonservativen Muslim tanzen.
Auffallend ist, dass besorgte Stimmen zur aktuellen Entwicklung in der Türkei bislang nur aus der Europäischen Union zu vernehmen sind. Ein wie auch immer gearteter Eingriff des Militärs in die Machtstrukturen würde die Verhandlungen über den Beitritt zur EU obsolet machen. Das politische Washington schweigt sich aus. Zwar kann eine Militärdiktatur in der Türkei auch nicht im Interesse der Vereinigten Staaten liegen. Aber die USA brauchen vor dem Hintergrund der katastrophalen militärischen Lage im Irak ein sicheres Hinterland. Schon beim Überfall auf den Irak hatte Ankara der US Army die Nutzung türkischen Territoriums untersagt.
Ein möglicher Ausweg aus der Krise sind Neuwahlen, wie sie mittlerweile auch vom einflussreichen Industriellenverband Tüsiad gefordert werden. Ob dies aber Stabilität bringt, ist zweifelhaft. Die AK-Partei von Erdogan und Gül liegt bei den Umfragen weit vorn.
Quelle: ntv.de