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Zwischenruf Spirale der Eskalation

Die Spirale der Eskalation dreht sich weiter. Auf den georgischen Einmarsch in Südossetien folgte der russische Überfall auf das georgische Kernland, russische Truppen drängten gemeinsam mit abchasischen Einheiten die letzten georgischen Soldaten aus dem Norden des Kodoritals, dem einzigen Gebiet, das Tiflis in der zweiten abtrünnigen Teilrepublik noch kontrolliert hatte.

Während die europäischen Lokomotiven Frankreich und Deutschland bemüht sind, Öl aufs Wasser zu gießen, damit sich die Wogen glätten, gießen die Neueuropäer um Polens Staatschef Lech Kaczyński Öl ins Feuer. Während dieser in Tiflis seinem Amtskollegen Michail Saakaschwili Unterstützung zusicherte, schlossen seine Unterhändler daheim mit den USA die Verhandlungen über die Stationierung eines Teils des US-Raketenabwehrschirms ab. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt. Jedermann weiß um die Unsinnigkeit des Bedrohungsszenarios, das zur Begründung dient. Damit sollen iranische Raketen abgewehrt werden, die das Regime in Teheran gar nicht besitzt. Oder nordkoreanische. Die dann allerdings zuvor mit Kim Jong Ils Privatzug an die Grenzen der Rzeczpospolita transportiert werden müssten.

Die zusätzliche ständige Stationierung von „Patriot“-Kurzstreckenraketen rechtfertigen die USA mit dem Schutz der Anlage. Ministerpräsident Donald Tusk ist ehrlich: Er sieht die Patriots als Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit seines Landes. Russland fühlt sich düpiert; wie die Antwort aussieht, ist unklar. Wahrscheinlich wird Moskau sein Truppenkontingent in Belarus aufstocken und dort seinerseits Raketen in Stellung bringen. Die polnische Entscheidung ist zugleich ein Schlag ins Gesicht der NATO. Die Vereinbarung enthält eine Klausel, mit der die Vereinigten Staaten Polen zusätzliche Sicherheitsgarantien geben. Wenn Tusk sagt, im Falle der Bedrohung würde die Allianz zu langsam reagieren, meint er eigentlich, Paris oder Berlin könnte sich dem Verteidigungsfall verweigern. Auch Washington lässt das Bündnis – nicht zum ersten Mal – obsolet erscheinen. Denn auch das Raketenabwehrsystem selbst mochte Washington nicht, wie unter anderem von Deutschland angeregt, der NATO unterstellen.

Die Bundesregierung sitzt in dem Konflikt zwischen den Stühlen. Da ist einerseits die Bündnistreue gegenüber den USA, andererseits das Eigeninteresse an russischen Rohstoffen und einem ausgewogenen Verhältnis zu Moskau. Vor diesem Hintergrund hat Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Treffen mit Kremlchef Dimitri Medwedew in Sotschi angemessen reagiert. Sie ist gut beraten, diese Linie am Sonntag in Tiflis beizubehalten. Politik ist bekanntlich immer nur die Kunst des Möglichen.

Quelle: ntv.de

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