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Zwischenruf Steht der Libanon vor einem Bürgerkrieg?

Nach dem Mord an einem hohen libanesischen Geheimdienstoffizier am Freitag kommt es in Beirut und anderen Städten des Landes immer wieder zu Zusammenstößen bewaffneter Gruppen. Syrien die Alleinschuld an der Eskalation im Nachbarland zu gegeben, greift zu kurz. Aber wer profitiert von dem dräuenden Bürgerkrieg?

Wissam al-Hassan wird beigesetzt.

Wissam al-Hassan wird beigesetzt.

(Foto: dpa)

Der Mord an Brigadegeneral Wissam al-Hassan vom Polizeigeheimdienst und sieben weiteren Personen ist der vorläufige Höhepunkt des latenten innerlibanesischen Konflikts, der auch durch das Friedensabkommen von Taif 1989 und den komplizierten ethnisch-religiösen Proporz in den Machtstrukturen nie beendet worden ist. Dem tödlichen Attentat auf den damaligen Premierminister Rafik al-Hariri folgte 2005 die sogenannte Zedernrevolution, die ihrerseits eine syrienfeindliche Koalition an die Macht brachte. Die aber wurde in anschließenden Wahlen von einer Koalition zu Fall gebracht, die sich auf die schiitische Hisbollah und den syrienfreundlichen Teil der Christen stützt. Der Anschlagsserie vor sieben Jahren waren auch noch weitere Politiker zum Opfer gefallen, darunter der Chef der Kommunistischen Partei, George Hawi.

Was wusste al-Hassan?

Die gegenwärtige Zuspitzung ist Reflex des Bürgerkrieges beim östlichen Nachbarn und zugleich Ausdruck der inneren Widersprüche im Lande selbst. Die Wechselwirkung wird dadurch verstärkt, dass beide Länder im Osmanischen Reich als Einheit existierten. Als unabhängige Staaten gibt es den Libanon und Syrien erst seit Beendigung des französischen Völkerbundmandats 1943. Syrien betrachtete den Libanon faktisch als Landesteil. Erst 2008 nahmen Beirut und Damaskus diplomatische Beziehungen auf. Die syrische Sonderrolle gegenüber dem Libanon ist auch auf die Anwesenheit syrischer Truppen dort zurückzuführen, die im Auftrag der Arabischen Liga 1989 dem Bürgerkrieg ein Ende setzten. 2005 musste das Assad-Regime seine Truppen im Gefolge der Zedernrevolution abziehen.

Die Hintergründe des Attentats auf Wissam al-Hassan werden wohl ebenso wie das auf Hariri nie aufgeklärt. Syrien soll hinter dem Mordanschlag auf Hariri gestanden haben. Beweise dafür wurden nie vorgelegt. Auch jetzt heißt es, Damaskus stünde hinter dem Verbrechen vom Freitag. Bislang gibt es auch dafür keine Belege. Al-Hassan war Sunnit. Als sein Glaubensbruder und Ministerpräsident Hariri ermordet wurde, war er dessen Protokollchef. Er hätte mit in Hariris Konvoi fahren müssen, hatte sich jedoch an diesem Tag eine Auszeit für sein Universitätsstudium genommen. Was wusste al-Hassan von Attentatsplänen?

Cui bono?

Cui bono? Wem nützt es? Syrien allein, das mit dem Rücken zur Wand steht und schon nach dem Hariri-Attentat empfindliche Schläge einstecken musste, ganz gewiss nicht. Syriens Alliierte in Gestalt der Hisbollah von Hassan Nasrallah nutzen das Attentat, um die Gewalt gegen die Sunniten zu verstärken.

Profiteure sind auch die sunnitischen Extremisten, welche die Schiiten und Alewiten aufgrund ihrer religiösen Nähe zum Assad-Clan verfolgen. Ziel der sunnitischen Angriffe sind auch Christen. Ob die Appelle der Armeeführung an Libanons Politiker, sich in ihren Äußerungen zurückzuhalten, etwas nützen, müssen die nächsten Tage zeigen. Die Stimmung im Zedernstaat ist bis zum Zerreißen gespannt. Da kann jedes unbedachte Wort zum Sprengsatz werden. Zu einem gesamtlibanesischen Brand ist es – noch? – nicht gekommen. Ein offener Bürgerkrieg im Libanon würde wie in Syrien keinen raschen Sieg der einen oder anderen Seite bringen, sondern in einen längerdauernden bewaffneten Konflikt münden. Die meisten Libanesen sind des fortgesetzten Konfliktes überdrüssig und wollen Frieden. Doch reichen die Kräfte der schweigenden Mehrheit?

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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