Zukunft Nische Steinbach muss gehen
05.01.2010, 12:16 UhrDer Streit um das Vertriebenen-Zentrum ist in mehr als zehn Jahren nicht von der Stelle gekommen. Das liegt daran, dass der Bund der Vertriebenen und der Rest der Gesellschaft in unterschiedlichen Welten leben.

Erika Steinbach ist seit 1990 CDU-Abgeordnete im Bundestag und seit 1998 BdV-Präsidentin.
(Foto: REUTERS)
Es dauerte 50 Jahre, bis in Deutschland ohne Polemik über die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs gesprochen werden konnte. Jahrzehntelang war ihr Schicksal nationalistisch instrumentalisiert und von der Mitte der Gesellschaft weitgehend verdrängt worden. Die Verdrängung wurde in den 1990er Jahren überwunden. Als 2002 der Roman "Im Krebsgang" von Günter Grass erschien, war das Tabu keines mehr.
Der Bund der Vertriebenen (BdV) hat die neue Haltung zum Gedenken nicht angestoßen und nicht mitgestaltet. Der BdV hat lediglich versucht, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen, als er die Idee eines "Zentrums gegen Vertreibungen" aufbrachte. Die rot-grüne Bundesregierung lehnte die Vorstellungen des BdV noch ab, erst die schwarz-rote Koalition beschloss, "ein sichtbares Zeichen" zu setzen.
Ende 2008 wurde unter dem Dach des Deutschen Historischen Museums in Berlin die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" gegründet. Gestritten wird seither über den Stiftungsrat, der aus 13 Personen besteht, darunter Vertreter der Bundesregierung, des Bundestags und der Kirchen: Drei Vertreter darf der BdV entsenden, so viele wie die Bundesregierung. Selbst der Bundestag bleibt mit zwei Vertretern dahinter zurück. Jede Benennung muss allerdings von der Bundesregierung bestätigt werden. Ein Stuhl blieb daher vakant: Weder die SPD noch die FDP wollten BdV-Präsidentin Erika Steinbach im Stiftungsrat sehen. Steinbach hatte 1991 als CDU-Abgeordnete im Bundestag gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gestimmt, durch gezielte Provokationen erarbeitete sie sich in Polen den Ruf einer Rechtsaußen-Politikerin - was innerhalb des BdV freilich ihrer Karriere nicht schadete.
"Am Ende unterstützen"
Mit Steinbachs Anspruch auf einen Sitz im Stiftungsrat hat der BdV den idealen Hebel gefunden, um die Bundesregierung vorzuführen. Von der Union, die sich traditionell als parlamentarischer Arm des BdV begreift, werden Steinbach keinerlei Grenzen gezogen. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla sagte, die Union werde Steinbachs aktuelle Vorschläge "wohlwollend prüfen" und - das weiß Pofalla schon jetzt - "am Ende auch unterstützen".
Steinbachs "Vorschläge" jedoch zielen auf nichts anderes als auf die Übernahme der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" durch den BdV. Denn Steinbach fordert, dass die Nominierungen des BdV für den Stiftungsrat von der Bundesregierung nicht mehr genehmigt werden müssen, sie fordert deutlich mehr Sitze für ihren Verband, sie fordert, dass die Stiftung nicht unter dem Dach des Deutschen Historischen Museums angesiedelt sein soll. Wenn all diese Bedingungen erfüllt werden, "dann besteht keine Notwendigkeit mehr, dass ich im Stiftungsrat vertreten bin". Steinbach will die gesetzliche Grundlage der Stiftung ändern lassen und bietet im Gegenzug eine vage Zusicherung. Diesen Übernahmeversuch nennt sie "eine Lösung der Vernunft". Es ist kaum vorstellbar, dass die FDP dies hinnehmen wird.
Scheitern bringt die Lösung
Der Fall Steinbach zeigt - wieder einmal -, dass Merkels Politik des ewigen Aussitzens zum Scheitern verurteilt ist. Ohne Ziel und Sinn kann ein Land nicht geführt, eine historische Stiftung nicht installiert werden. Entscheidungen sind gefragt. Da die Kanzlerin dazu offensichtlich nicht bereit oder in der Lage ist, ruht die Hoffnung nun kurioserweise auf der Gradlinigkeit des Bundes der Vertriebenen. Steinbach nennt ihren Weg der Vernunft "die allerletzte Möglichkeit". Scheitert er, will sie nicht ausschließen, dass der BdV sich aus der Bundesstiftung zurückzieht.
Das ist die einzige Lösung. Die Enttabuisierung des Sprechens über Vertreibung hat ohne den BdV stattgefunden, der Verband hat das gesellschaftliche Klima, das diese Enttabuisierung möglich gemacht hat, weder verstanden noch nachvollzogen. Steinbach und der BdV hatten die Chance, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen, sie hatten die Chance, einen positiven Beitrag zur europäischen Erinnerungskultur zu leisten. Sie haben sich für ein Leben in Nischen entschieden. Dazu gehört das verbandseigene Zentrum gegen Vertreibungen, das der BdV im Jahr 2000 gründete. Hier kann Steinbach allein schalten und walten. In der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" hat sie nichts mehr verloren.
Quelle: ntv.de