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Zwischenruf System Putin: Lupenunreine Demokratie

Alter und neuer russischer Präsident: Wladimir Putin.

Alter und neuer russischer Präsident: Wladimir Putin.

(Foto: AP)

Ein lupenreiner Demokrat ist Wladimir Putin nicht. Doch was ist lupenrein? Demokratische Systeme sind von Argentinien bis Zypern durch nationale Einzelheiten geprägt. Das sollte aber niemanden daran hindern, Putin kritisch unter die Lupe zu nehmen.

Bei einem geschliffenen Diamanten dürfen keine Wachstumsmerkmale oder Einschlüsse erkennbar sein, wenn er als lupenrein gelten soll. So gesehen ist keine Demokratie lupenrein, weil alle politischen Systeme von ihrer Geschichte geprägt sind und den einen oder anderen "Einschluss" enthalten, der andernorts auf Ablehnung trifft oder Befremden stößt.

Russland kennt nur eine winzige Phase parlamentarischer Demokratie, die von Februar bis Oktober 1917 dauerte. Was die Russen nach 1991 bis zu Putins erstem Amtsantritt im Jahr 2000 als Demokratie erlebten, waren ein häufig angetrunkener Staatspräsident, eine beispiellose, kriminelle Bereicherung einiger und eine beispiellose Verarmung vieler. Die Welt hielt sich die Bäuche vor Lachen über den wackelnden Koloss: Auf internationaler Ebene saß das Riesenreich am Katzentisch.

Korruption bestimmt die Politik

Apropos Demokratie: Boris Jelzin ließ das unbotmäßige Parlament 1993 zusammenkartätschen. Die Präsidentenwahlen 1996 gewann er mit Ach und Krach - durch manipulierte Medien und Geld aus der Kriegskasse jener Partei-, Komsomol- und Wirtschaftsbonzen, denen er den "Aufstieg" zu Oligarchen ermöglicht hatte. Der Grund: KP-Chef Gennadij Sjuganow lag nach dem ersten Wahlgang nur zwei Prozentpunkte hinter Jelzin. Im Gegenzug ließ Jelzin zu, dass die Oligarchen Steuern in Milliardenhöhe hinterzogen. Als 1998/99 mit der sogenannten Russlandkrise die Götterdämmerung einsetzte, war das Land pleite, seine "Elite" durch und durch korrupt.

Die Korruption blieb auch unter Putin. Der Unterschied: Der KGB-Mann aus Leningrad schob nun seinem Petersburger und Geheimdienstklüngel die Pfründe zu. Die Oligarchen der Ära Jelzin wurden nach und nach ausgebootet, einige flohen zu ihren Milliarden, die sie vorher ins Ausland gebracht hatten. Einer wanderte gar ins Gefängnis, als er politische Ambitionen erkennen ließ.

Russland kehrt auf die internationale Bühne zurück

Unter Putin - der Einfachheit halber sei das Interregnum von Dimitri Medwedew eingeschlossen - kehrte Russland auf die Weltbühne zurück, schmiedete mit China und anderen regionale Bündnisse. Die Finanzen haben sich stabilisiert, wenn auch dank einer Wirtschaftsstruktur, die in vielem einem Land der Dritten Welt gleicht. Die Lebenslage eines Teils der Bevölkerung hat sich verbessert. Der wohlsituierte und gebildete Mittelstand, der jetzt zu Recht eine weitergehende Demokratisierung fordert, verdankt seinen Stand nicht zuletzt dem System Putin.

Mehr Demokratie sollte es aber nicht nur für die Vorgenannten geben, sondern auch für die Lohnabhängigen im Staats- oder staatsnahen Sektor, denen der Betriebsdirektor mit Kündigung drohte, sollten sie sich für einen anderen als Wladimir Wladimirowitsch entscheiden. Gut die Hälfte der Wählerschaft kommt aus diesem Bereich. Es war bekannt, dass Putin nicht in eine Stichwahl wollte. Viele der auf zehn Prozent der Stimmen geschätzten Fälle von Betrug und Manipulation sind vorauseilendem Gehorsam zu verdanken. In einer Stichwahl hätte der Kommunist Sjuganow seinen Anteil erhöht. Eine weiter gestärkte KP hätte Putin im Weg gestanden: Beruht doch ein beachtlicher Teil seiner Popularität darauf, dass er sowjetische (Großmacht-) Symbolik wieder zum Bestandteil des nationalen Selbstverständnisses gemacht hat: Hammer und Sichel in den Krallen des zaristischen Doppeladlers sozusagen.

Kluge Politik sollte nicht so aussehen, dass man Putin ständig seinen Hang zum Autoritarismus unter die Nase reibt. Menschen, die ihn kennen, sagen, dann würde alles noch schlimmer. Das sollte aber niemanden daran hindern, seine Politik kritisch unter die Lupe zu nehmen.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist er Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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