Zwischenruf Theokratie vs. Demokratie
17.07.2009, 18:31 UhrDas Freitagsgebet hat im Iran die Proteste der Opposition gegen die umstrittene Präsidentschaftswahl neu entfacht. Doch, ob Rafsandschani oder Mussawi - beide sind nur Projektionsflächen für den sozial wie politisch breiten Widerstand, meint Manfred Bleskin.

Ex-Präsident Rafsandschani stellte das offizielle Endergebnis der Präsidentenwahl in Frage.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Mit den Angriffen von Ali Akbar Haschemi Rafsandschani auf Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat im Iran die zweite Etappe des Aufbegehrens gegen die islamische Theokratie begonnen. Wenn der ehemalige Staatschef sich jetzt offen als Unterstützer von Mir Hossein Mussawi zu erkennen gibt, vollzieht sich in der Oppositionsbewegung ein qualitativer Sprung. Bislang war nur seine Tochter Faeseh, eine gut betuchte Immobilienhändlerin übrigens, als Mitorganisatorin und Rednerin auf Protestveranstaltungen in Erscheinung getreten. Zwar galt der Milliardär als einer der heimlichen Finanziers von Mussawi, doch nach außen hielt er sich zurück.
Ahmadinedschad gerät immer mehr in Bedrängnis. Doch ernsthaft gefährdet ist das Regime erst dann, wenn Armee und Revolutionsgarden - respektive bedeutende Teile davon – ihn fallenlassen. "Die Straße" hat im Iran traditionell große Macht als Auslöser von Umbrüchen, die aber erst durch die Macht aus den Gewehrläufen Realität wurden. So hatte nach dem Sturz von Schah Mohammad Reza Pahlevi 1979 kurzzeitig eine Militärregierung die Macht übernommen. Erst danach kehrte Großayatollah Ruhollah Musavi Chomeini aus dem Exil im französischen Neauphle-le-Château nach Teheran zurück. Mithin wird die Opposition erst in einer dritten Etappe die Machtfrage stellen können. Die Haltung der Mehrheit der Geistlichen ist im Vergleich zur Position der bewaffneten Kräfte nachrangig. Schon lange genießen "die Mullahs" nicht mehr das Ansehen, haben sie nicht mehr die Macht, die sie nach 1979 besaßen.

Reformkandidat Mussawi war Amtsinhaber Ahamadinedschad bei der Wahl offiziell unterlegen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Wenn manch einer jetzt meint, die derzeitige Bewegung ziele auf die Fortsetzung der "Revolution" von damals, liegt er spätestens seit dem heutigen Freitagsgebet daneben. Rafsandschani, Präsident von 1989 bis 1997, hat beileibe nicht die sozialen Erwartungen erfüllt, die seine Wähler in ihn gesetzt hatten. Rafsandschani war als Schüler von Chomeini nach 1979 aktiv an der Zerschlagung der laizistisch-bürgerlichen und kommunistischen Opposition beteiligt, was allzu oft nur deren physische Vernichtung bedeutete. In seine Amtszeit fallen auch die die sogenannten Mykonos-Morde iranisch-kurdischer Sozialdemokraten in Berlin. Er gilt als Vertreter jener strengislamischen Bourgeoisie, die gleichwohl international Geschäfte machen will.
Rafsandschani wie Mussawi – dessen Vergangenheit ähnlich kompliziert ist – sind gegenwärtig Symbolfiguren und Projektionsflächen für den sozial wie politisch breiten Widerstand. Sollten sie sich durchsetzen, stünde am Ende eine islamische Demokratie. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de