Zwischenruf Tschechien an der EU-Spitze
07.01.2009, 16:00 UhrE, E, E oder oh weh, oh weh? - Klagvoll hört es sich ja an, das Motto der neuen tschechischen EU-Ratspräsidentschaft. E wie ekonomika, E wie energie, E wie Evropa ve světě, Europa in der Welt.
Doch die Prager Regierung droht mit Pauken und Trompeten durchzufallen. Der konservative Ministerpräsident Mirek Topolnek steht einer wackeligen Koalition vor. Im Zentrum seiner Aufmerksamkeit steht zwangsläufig eher das politische Überleben denn der politische Impuls für eine starke Rolle der Europäischen Union bei der Bewältigung ihrer eigenen institutionellen Probleme, Stichwort: Lissabon-Vertrag.
Gleiches gilt für die Bewältigung der Wirtschaftskrise und den Beitrag zur Lösung internationaler Konflikte. Außenminister Karl zu Schwarzenberg musste schleunigst zurückrudern, nachdem er im Gazakrieg einseitig Stellung zugunsten Israels bezogen hatte. Der Mann, der neben der tschechischen praktischerweise auch die Staatsbürgerschaft des Nicht-EU-Mitglieds Schweiz hat, ist schlicht unglaubwürdig, wenn er seiner Jerusalemer Amtskollegin Zipi Livni nun in seiner Eigenschaft als Chef einer EU-Delegation einen begrenzten Waffenstillstand mit der Hamas anträgt.
Wie wenig Tschechien dem Vorgänger in der Ratspräsidentschaft Frankreich gilt, machte dessen Staatschef Nicolas Sarkozy deutlich, als er parallel zur EU-Mission im Nahen Osten Spitzengespräche führte.
Hinzu kommt ein EU-feindlicher Präsident auf dem Hradschin. Vclav Klaus ist zugleich erklärter Gegner von Premierminister Mirek Topolnek und hält auch wenig von dessen polyglotten Außenamtschef, dem er zu enge Bindungen an Österreich, wo Schwarzenberg aufwuchs, vorwirft. Nicht zuletzt wird die Rolle Prags auch durch die gespannten Beziehungen zur Slowakei belastet. Die andere der beiden ehemaligen tschechoslowakischen Teilrepubliken hat zum 1. Januar sehr zum Unwillen Tschechiens erfolgreich den Euro eingeführt, Tschechisch als Amtssprache verboten und dessen Benutzung in offiziellen Angelegenheiten unter Strafe gestellt. Dümmster Nationalismus, denn Tschechen und Slowaken verstehen einander besser als Mecklenburger und Altbaiern.
Das Purzeln und Stolpern der tschechischen Ratspräsidentschaft wirft die Frage nach der Dringlichkeit eines ständigen EU-Ratspräsidenten auf, wie er im Lissabon-Vertrag vorgesehen ist.
Bis zum Ende des tschechischen Intermezzos sind da aber kaum Fortschritte zu erwarten. Oh weh, oh weh.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de