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Zwischenruf Unmögliches beschlossen

Von Manfred Bleskin

Bislang warfen die Regierungen in Kabul und Islamabad einander vor, für das Wiedererstarken der radikal-islamischen Taleban und der Terrororganisation Al-Q’aida verantwortlich zu sein. Nun saßen die die Präsidenten Hamid Karsai und Pervez Musharraf in der afghanischen Hauptstadt an einem Tisch, und mit ihnen rund 650 Stammesführer, Warlords und Clanchefs aus beiden Ländern. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auch deshalb, weil die Form der Versammlung – nicht gewählte Repräsentanten, die sich auf familiäre, ethnische, wirtschaftliche und militärische Macht stützen – den nichtdemokratischen Traditionen vor allem Afghanistans eher entsprechen als das Parlament.

Die Protagonisten sind untereinander zum Teil spinnefeind. Da ist es schon bemerkenswert, dass keiner dem anderen an die Gurgel ging. Dies gilt nicht nur für die Stammeschefs, sondern auch für die beiden Männer, die im Präsidium saßen. Der Graben zwischen Kabul und Islamabad ist immer noch tief. Musharraf reiste – wohl auf Drängen der USA – erst zum Schluss der viertägigen Beratungen an.

Die Teilnehmer der so genannten Friedensdschirga verständigten sich auf eine gemeinsame Erklärung, deren Kern darin besteht, den Taleban und der Al-Q’aida das Wasser abzugraben. Sollte Pakistan dies ernst meinen, müssten als erstes die rund 10.000 Madrassas, die Koranschulen, geschlossen werden. Sie dienen den militanten Islamisten als Anlaufpunkt, dort wird ihr Nachwuchs indoktriniert. Dies ist allein schon deshalb unmöglich, weil nicht nur das pakistanische Schulwesen kollabieren, sondern ein allgemeiner Aufstand dem Regime von Musharraf ein rasches Ende bereiten würde.

Ausbildungslager für Terroristen dürften in keinem der beiden Länder geduldet werden, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der Dschirga. Zunächst ist fraglich, ob sich alle Teilnehmer für ihren jeweiligen Einflussbereich daran halten werden. Es wäre schon viel gewonnen, wenn ein Teil der Anwesenden Ernst machen würden. Doch gut 60 Stammesführer aus Pakistan waren erst gar nicht angereist, weil die Taleban nicht eingeladen worden waren. Die nordwestlichen Stammesgebiete Pakistans sind das Hinterland der Koranschüler. Den Taleban in ihrer Gesamtheit die kalte Schulter zu zeigen, war ein Fehler. Denn mit gemäßigten Kräften der Koranschüler hat Afghanistans Staatschef schon verhandelt.

Einer Lösung der Probleme wird man aber weder in Afghanistan noch in Pakistan durch Ausschluss einer der einflussreichsten Gruppen der Gesellschaft näher kommen. Nur ein Interessenausgleich kann zum Ziel führen. Die Taleban mögen eine der rückschrittlichsten Kräfte im Islam sein, aber sie gewinnen immer mehr an politischem und militärischem Gewicht, und zwar in dem Maße, in dem die US-geführten Streitkräfte den hundertfachen Tod von Zivilisten als "Kollateralschaden" abtun und die sozialen Fragen ungelöst bleiben. Der Kampf gegen Drogenanbau und -handel ist richtig. Solange jedoch vor allem die Mohnfelder der Paschtunen, der größten Bevölkerungsgruppe, zerstört werden, solange diese keine wirtschaftliche Alternative sehen, bleibt alles vergebliche Liebesmüh.

Es wäre hilfreich gewesen, hätten sich im Riesenzelt von Kabul auch offizielle Vertreter jener Staaten eingefunden, die in Afghanistan mit Soldaten präsent sind – gleich, ob bei der ISAF und/oder der Operation "Enduring Freedom". Die Teilnehmer der Dschirga wissen, dass Karsai kein Staatsoberhaupt kraft eigener Macht ist, sondern vom Wohlwollen namentlich der USA abhängt. Die Vorstellung eines Wiederaufbaukonzepts der Vereinigten Staaten hätte mehr zur Befriedung Afghanistans und Pakistans beigetragen als alle gegenseitigen Treueschwüre. Auch Deutschland hätte die Gelegenheit entsprechend nutzen können.

Die Friedensdschirga ist vorbei, der Krieg geht weiter. Ein Krieg, in dem die eher schlecht ausgerüsteten Taleban nicht in offener Feldschlacht gegen die High-Tech-Armeen der USA und ihrer Verbündeten antreten, sondern aus dem Hinterhalt zuschlagen und dann wieder verschwinden. Und nicht nur die Taleban: Auch der bewaffnete Arm der Hezb-i-Islami-Partei von Ex-Premier Gulbuddin Hekmatyar. Einen solchen Krieg kann der Westen nicht gewinnen.

Quelle: ntv.de

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