Zwischenruf What a difference!
18.09.2009, 09:03 UhrDie Ankündigung von US-Präsident Barack Obama auf den Raketenschutzschild zu verzichten markiert einerseits eine Kehrtwende in den Beziehungen zu Russland. Andererseits ist dies Ausdruck unverändert gegensätzlicher strategischer Interessen.

Der geplante Raketenabwehrschild soll Vergangenheit sein.
(Foto: dpa)
Kaum jemand hatte den dümmlichen Vorwänden seines Amtsvorgängers George W. Bush geglaubt, iranische oder nordkoreanische Raketen müssten ausgerechnet von polnischem oder tschechischem Territorium aus abgewehrt werden. Weder das islamistische Regime von Mahmud Ahmadinedschad noch die erstarrte Diktatur von Kim Jong Il verfügen über Trägermittel, die in der Lage wären US-amerikanisches Hoheitsgebiet zu erreichen. Die dann zudem von Ostmitteleuropa aus abgewehrt werden müssten. Bush jr. hat gelogen, wie er es schon im Falle des Irak und seiner vorgeblichen Massenvernichtungswaffen getan hat. Dass NATO-Länder wie Deutschland das Spiel - wenn auch manchmal halbherzig - mitgespielt haben, spricht für sich.
"Neue geheimdienstliche Erkenntnisse"
Obama schützte "neue geheimdienstliche Erkenntnisse" über die iranische Raketenproduktion vor, um den Verzicht zu begründen. Er hat damit nicht sein, sondern das Gesicht seines republikanischen Vorgängers gewahrt. Der Mann hat schließlich genug damit zu tun, das Hauptziel seiner Regentschaft, die Gesundheitsreform, durchzuboxen. Und der wieder aufgeflammten: besser andauernden Rassismusdiskussion in seinem Land entgegenzutreten. Obamas Opposition gegen die Sarkozy-Merkel-Pläne zur Begrenzung der Managergehälter erscheint in diesem Licht als ein letztes Zugeständnis an das heimische Großkapital, das mehrheitlich den Republikanern zuneigt, welche die eifrigsten Befürworter des selbst technisch unsinnigen Vorhabens waren.
Mögen Polen und Tschechien auch noch so sehr ob der Entscheidung Obamas klagen: Das heillos zerstrittene EU-Europa hat in der US-Strategie an Stellenwert verloren. Die Musik spielt in der muslimischen Welt und in China. Dort wollen die Vereinigten Staaten punkten: Wegen der Rohstoffe und der militärstrategischen Bedeutung in dem einem, wegen der bedrohlichen Finanz- und Wirtschaftskraft in dem anderen Fall.
Aufs Kreuz gelegt
Mögen Russlands Putin und Medwedew Obamas Entscheidung auch noch so sehr als eigenen Sieg auf ihre Fahnen schreiben: Der Mann im Weißen Haus zu Washington hat sie aufs Kreuz gelegt. Er ist seinem Ziel, die strategisch wichtigen Plätze dieser Welt zu kontrollieren ein Stück näher gekommen. Moskau hat mehr Sicherheit an seinen Westgrenzen. What a difference!

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de