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Bei den Siedlern in Benjamin Wie zur Zeit des Königs Saul

Ein gelber gepanzerter Bus des Regionalrats von Benjamin wartet an Jerusalems Busbahnhof. Erstmals lädt die Siedlerbewegung zu einer Pressefahrt ein. "Wir müssen unsere Standpunkte in Israel und in der Welt bekannt machen", sagt Avi Roe, der Leiter des Regionalrats.

Unbeantwortet bleibt die Frage, warum die eher pressefeindlichen Siedler ausgerechnet jetzt eine Informationsfahrt für Auslandsjournalisten organisieren. Es könnten die Wahlen in Israel sein, oder auch Gerüchte über ein "Friedensabkommen" zwischen Ehud Olmert und Mahmud Abbas. Seit einem Jahr verhandeln Israels Premier und der palästinensische Präsident. Der umstrittene israelische Sperrwall, Zaun und Mauer entlang der "Grünen Linie" zwischen dem Kernland Israels und den besetzten Gebieten, markiert, welche Siedlungen Israel zugeschlagen werden sollen und welche Gebiete einst Teil eines palästinensischen Staates werden könnten. Die Welt übt Druck auf Israel aus, den Ausbau der "völkerrechtlich illegalen Siedlungen" einzufrieren und sie zu räumen.

"Gott stand auf der Seite seines Volkes"

Der schwere Bus quält sich durch die Staus in Jerusalem und fährt dann zügig inmitten palästinensischer Autos auf "Siedlerumgehungsstraßen" nach Eli. Tamar, eine gesprächige fromme Amerikanerin, und ihr Mann David führen die Journalisten durch die bereits in der Bibel erwähnte Siedlung. 800 Familien haben da billigen Wohnraum in schmucken Villen mit roten Ziegeldächern gefunden.

David zeigt auf das arabische Dorf Muchmasch auf dem gegenüberliegenden Hügel. Den ungeduldigen Reporten erzählt er langatmig die Geschichte von König Saul und seinem Krieg in Michmas gegen das Heer der Philister. "Gott stand auf der Seite seines Volkes." David versucht, einen Japaner, einen Chinesen und einen Schweizer davon zu überzeugen, dass die biblische Landschaft dem jüdischen Volk gehört. Von der "Zwei-Staaten-Lösung", einem palästinensischen Staat neben Israel, hält er überhaupt nichts. In Israel gebe es viele "happy Arabs". Sie nähmen voll am demokratischen Leben des jüdischen Staates teil. Eine aus Libanon stammende jüdische Journalistin wird wütend: "Und die Palästinenser in den besetzten Gebieten haben keine Rechte?" Für Siedler-Sprecher David ist das "kein Problem". In jedem Land der Welt müssten Fremde ihre Loyalität zum Staat unter Beweis stellen. Die Palästinenser seien nicht loyal. Deshalb brauche Israel ihnen keine Rechte einzuräumen.

Sie prügeln, aber "sie besaufen sich nicht"

Davids Frau Tamar geifert: "Wir Juden sind so friedfertig, weil wir alles Geld in die Erziehung unserer Kinder stecken. Die Palästinenser investieren jedoch nur in Waffen." Ein Schwede fragt nach der extremistischen "Hügeljugend", junge Siedler, die Olivenhaine niederbrennen und Palästinenser gewalttätig an der Ernte hindern. "Das ist doch nur eine verschwindend kleine Minderheit", erklärt Tamar. "Wir verurteilen jede Form von Gewalt." Sie fügt hinzu: "Immerhin gehen diese Jugendlichen nicht in Bars und besaufen sich nicht." Von einer demografischen Gefahr für den Bestand des jüdischen Staates, falls Millionen Araber Bürger Israels werden sollten, will David nichts wissen. "Millionen Juden aus aller Welt warten darauf, nach Israel einzuwandern."

Palästinenser kamen "viel später"

Nächste Station ist Schilo, 1979 gegründet, 2100 Einwohner. Kleine "Viertel" mit jeweils einem halben Dutzend Häusern stehen verteilt auf Hügelgipfeln. Eliana, Enkelin polnischer Holocaust-Überlebender, bittet die Busladung Journalisten in ihr Haus "im biblischen Stil". Eine dicke blaue Bibel mit vielen Lesezeichen in der Hand, erklärt die 30-jährige Mutter von sechs Kindern, wie sie vom Wohnzimmer aus auf die Stelle schaue, wo vor über 3000 Jahren die Bundeslade mit den Gesetzestafeln des Moses bis zu ihrem Umzug in den Tempel Jerusalems gestanden hätte.

Mit leuchtenden Augen erzählt sie, wie sie aus jedem Fenster ihres Hauses eine andere "lebendige biblische Geschichte" sehe. Die Palästinenser in den umliegenden Dörfern seien "viel später gekommen". Sie "liebt" die arabische Kultur und habe ihre Nachbarn besucht, bis ein Palästinenser einen Siedler von Schilo niedergestochen habe. Der Siedler erschoss den Palästinenser. Seitdem habe sie alle Kontakte abgebrochen. "Wirklich Angst habe ich eher in Tel Aviv oder in Jerusalem, nicht aber hier in Schilo", erklärt sie dennoch. Sie glaubt nicht an einen bevorstehenden Rückzug.

Auf dem Rückweg redet Busfahrer Salman mit der Reiseleiterin Yehudit Tayar, einer Siedlerin aus Bet Choron. Sie ist Ambulanzfahrerin und berichtet von einem schwer verletzten Israeli. Er wollte in einem arabischen Dorf einkaufen und wurde niedergeschossen. Immer wieder bremsen Soldaten an Sperren auf der "Siedlerumgehungsstraße" den Verkehr. Vor allem die vielen palästinensischen Autos werden geprüft. "Sie suchen nach dem gestohlenen Auto jenes Israeli", berichtet Tayar. Salman weist bei Ramallah auf Hochhäuser entlang der Siedlerstraße. Ihre Jalousien sind heruntergezogen. "Das sind keine Wohnhäuser, sondern palästinensische Stellungen. Wenn es soweit ist, werden sie diese Straße unter Beschuss nehmen." Über seinem Kopf klafft ein rundes Loch in der Windschutzscheibe. "Jeden Busfahrer hat es schon einmal erwischt. Die Kugel hat mich nicht getroffen", sagt Salman seelenruhig, während der gepanzerte Bus der Siedlervereinigung an der letzten Straßensperre vor Jerusalem unkontrolliert von den Soldaten durchgewunken wird.

Der Nahe Osten ist sein Metier. Ulrich W. Sahm berichtet seit Mitte der 70er Jahre aus der Region immer auf der Suche nach der Geschichte hinter der Nachricht.

Quelle: ntv.de

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