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Vorfall an Israels Sperrzaun Wirbel um Schuss

Vor einem Militärjeep, nahe dem Dorf Nilin, hält ein israelischer Offizier einen jungen Palästinenser im grünen T-Shirt am Arm fest. Ein Soldat der Panzereinheit 77 zielt mit seinem Gewehr in Richtung der Füße des 27 Jahre alten Ashraf Abu Rahma. Der Soldat hatte Gummi-Mantel-Munition geladen. Befehle der Armee verbieten, diese Munition, die Demonstranten verletzen, aber nicht töten soll, aus geringerer Entfernung als zehn Meter einzusetzen. Nur ein Meter liegt zwischen der Waffe des Soldaten und den Beinen des Palästinensers.

Man sieht, wie der Offizier, der den an den Händen gefesselten Palästinenser festhält, diesen zu dem Soldaten hinschiebt und etwas sagt. Dann plötzlich verwackelt die Szene, die ein 14-jähriges palästinensisches Mädchen aus dem Fenster ihres Hauses gedreht haben soll. Der Schuss scheint das Mädchen erschreckt zu haben. In der nächsten Szene des von der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem ("Im Angesicht") veröffentlichten Films sieht man den Palästinenser am Boden liegen, während ein Sanitäter sich über ihn beugt.

Der kurze Film ging inzwischen per Internet rund um die Welt. B'Tselem bietet ihn kostenfrei jedem Journalisten an. Giftige Reaktionen sind etwa auf der Homepage des arabischen Nachrichtensenders Al Dschasira zu lesen: Die Israelis werden da als "Monster", "Wilde" und Schlimmeres bezeichnet, die einen "Genozid" am palästinensischen Volk verüben, und nur noch von den Dschihadisten übertroffen würden, die vor laufender Kamera ihren Geiseln die Köpfe abschneiden.

"Ich werde auf dich schießen"

Der angeschossene Palästinenser soll nach dem Vorfall erzählt haben, was ihm die Soldaten gesagt hätten: "Diesmal haben wir dir nichts angetan, aber das nächste Mal werden wir dich erledigen und in die Hölle jagen." Aschraf Abu Rachma erzählte weiter, dass er im Laufe einer friedlichen Demonstration von den Soldaten festgenommen worden sei. Sie hätten ihm den Ausweis abgenommen, die Hände gefesselt, die Augen verbunden, "und dann lange Zeit in die brütende Sonne geworfen". Immer noch mit verbundenen Augen habe ihm einer der Soldaten gesagt: "Ich werde auf dich schießen." Kurz darauf habe er Schmerz in seinem linken Zeh verspürt. Ein Arzt habe ihn untersucht, aber den Offizieren gesagt: "Es ist nichts, nur eine leichte Schwellung am Zeh." Doch nach Angaben von Abu Rachma ist sein "Bein angeschwollen wie ein Luftballon". Ohne seinen Ausweis zurückzubekommen, sei er von den Soldaten nach Hause geschickt worden. In seinem Dorf sei er von Sanitätern des Roten Halbmonds untersucht worden.

Das alles passierte am 7. Juli beim Dorf Nilin. Israelische Anarchisten, internationale Aktivisten und Palästinenser treffen sich dort regelmäßig, meistens am Freitagnachmittag, um gegen den Verlauf des von den Israelis errichteten Sperrwalls zu demonstrieren. Regelmäßig kommt es dabei zu Verletzten, wenn die nach eigenem Verständnis friedlichen Demonstranten die Baumaschinen demolieren oder die Soldaten mit Steinen bewerfen, während die Soldaten mit Tränengas und Gummimantel-Geschossen vorrücken.

B'Tselem hat sich darauf spezialisiert, israelische Menschenrechtsverstöße gegen Palästinenser zu dokumentieren und zu veröffentlichen. Die Organisation wird von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der EU finanziert. Den Film habe sie am Sonntag erhalten und der Armee übergeben, zwecks Untersuchung des Vorfalls.

"Ernster und unmoralischer Vorfall"

Erst nach breiter Veröffentlichung des Films wurde die Armee aktiv. Der schießende Soldat sei identifiziert und verhaftet worden. Beim Verhör soll er behauptet haben: "Mein Offizier hat auf mich eingeredet und immer wieder gesagt: Schieß endlich." Noch ist unbekannt, was der Offizier, ein Oberstleutnant, den Ermittlern gesagt hat.

In den israelischen Medien erhielt dieser "ernste und unmoralische Vorfall, der allen Regeln widerspricht" einen fast so hohen Stellenwert wie die Verhöre rund um die Korruptionsaffären von Ministerpräsident Ehud Olmert. Die Reaktionen reichen von Schock und Wut auf die Soldaten bis hin zu Kritik an der Menschenrechtsorganisation B'Tselem, "die mal wieder keine Chance auslässt, den Ruf Israels in den Dreck zu ziehen". Andere loben B'Tselem für die Veröffentlichung des Films, denn nichts sei schlimmer, als derartige Verbrechen unter den Teppich zu kehren. Der Militärsprecher erklärte: "Das ist ein schlimmer Vorfall, der allen unseren ethischen Werten widerspricht." Obgleich Ermittlungen aufgenommen worden seien, bestehe noch ein gewisser Zweifel an der Echtheit der gefilmten Szene: "Es kann sein, dass der Film zurechtgeschnitten wurde."

Die Sprecherin von Betzelem, Sarit Michaeli, erklärte, dass nicht nur der Zwischenfall "unerträglich" sei, sondern auch die Tatsache, dass der Vorfall von den anwesenden Offizieren nicht gemeldet worden sei.

Quelle: ntv.de

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