Person der Woche

Person der Woche Cameron ist der heimliche Sieger

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Nach dem EU-Gipfel wird David Cameron als anti-europäischer Einzelgänger beschimpft und als Verlierer verlacht. Dabei liegt er mit seiner Kritik an der EU genau richtig. Er könnte am Ende noch als großer Sieger dastehen.

Sie beschimpfen ihn wie einen Ketzer der Europäischen Union. David Cameron hat sich gegen die Hohepriester Brüssels positioniert wie weiland Margaret Thatcher. Er weigerte sich nicht nur, Jean-Claude Juncker ins Amt des EU-Kommissionspräsidenten zu berufen. Er will die ganze Union reformieren, fordert weniger Staat und mehr Markt. Damit wird er zum neuen Lieblingsfeind aller Linken in Europa. Dass er der Sohn eines berühmten Börsenmaklers und einer Adelsdame ist, dass er seine Schulzeit im privaten Eton College und sein Studium in Oxford absolvierte, dass er den "staatlichen Multikulturalismus" für gescheitert erklärt, die Finanzindustrie verteidigt und Englands alte Stärke wieder herstellen möchte, alles passt ins Klischee des salonkonservativen Kapitalisten. Darum feixen so viele auf dem Kontinent, dass Cameron auf dem Gipfel mit 2:26 (nur Ungarn stand ihm bei) verloren hat.

In Großbritannien hingegen bringt ihm der Widerstand gegen die Weiter-so-Politik der Kontinentaleuropäer enormen Rückenwind. Nach aktuellen Umfragen springen seine Zustimmungswerte geradezu empor. Camerons Partei kann in der Sonntagsfrage schlagartig fünf Punkte zulegen und überflügelt nun die Labour-Opposition wieder. Denn Cameron verkörpert mit seiner hartnäckigen Widerständigkeit plötzlich wieder das britische Selbstgefühl der insularen Autonomie.

Von Paris bis Berlin werfen ihm nun Politiker und Kommentatoren vor, dass er aus plumpem Egoismus und nur wegen innenpolitischer Widerstände das ganze europäische Haus in Brand stecken wolle. Feinsinnigere graben die Worte von Oscar Wilde ("England ist die Heimat der abgestandenen Ansichten") und Novalis wieder aus ("Nicht nur England, auch jeder Engländer ist eine Insel"). Und mancher Kontinentaleuropäer empfiehlt London sogar offen den Austritt aus der EU. "Es geht auch ohne Euch", zischen die geifernden Zentralstaatsfreunde über den Kanal.

Kritik in den meisten Punkten berechtigt

Ein Austritt der Briten aber wäre fatal für ganz Europa. Großbritannien ist von herausragender Bedeutung für den Zusammenhalt Europas. Ein Austritt Londons würde den Anfang vom Ende der EU bedeuten. Und zwar schon deswegen, weil ein Großteil der Bevölkerung Europas die Kritik am Zustand der Europäischen Union offen teilt. Nicht umsonst haben europakritische Parteien in vielen Ländern erdrutschartige Zugewinne bei der Europawahl erzielt.

Cameron ist daher mitnichten der einsame Extremist und Eurohasser. Er sucht einen Weg, Europa zu modernisieren, zu demokratisieren, wieder Akzeptanz zu verschaffen und es damit zu retten. Der britische Premier will ausdrücklich an der Mitgliedschaft seines Landes in einer reformierten EU festhalten. Im Jahr 2017 soll ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens entscheiden. Die Debatte in England ist darum eine Verfassungsfrage, die ganz Europa so offen führen müsste.

Denn Cameron hat in den meisten Punkten seiner EU-Kritik völlig recht. So ist die EU zu undemokratisch, die parlamentarische Kontrolle bleibt unterentwickelt wie die Transparenz. Die Bürgerferne Brüssels ist in ganz Europa Legende. Die Menschen Europas empfinden die EU als ineffizient, bürokratisch und planwirtschaftlich. Immer noch gehen rund 40 Prozent des Gesamthaushaltes in ein absurd sozialistisches Agrarsubventionssystem, weitere knapp 40 Prozent werden in zweifelhafte Strukturförder- und Kohäsionsfonds gesteckt, die zu massenhaftem Betrug einladen und systematischen Fehleinsatz von Ressourcen auslösen. Die eklatanten Wettbewerbsschwächen Südeuropas werden durch sie nicht beseitigt, sondern vertieft. Auf der anderen Seite aber gelingt es der EU nicht, auf wirklich wichtigen Feldern politische Handlungsfähigkeit zu zeigen. So zeigen sich in der gemeinsamen Außen- und Militärpolitik immer wieder peinliche Defizite.

Cameron ein wahrer Pro-Europäer

Cameron weist in unbequemer Manier auf dieses systemische Versagen hin. Eigentlich sollte man ihm dankbar sein, anstatt ihn zu verteufeln. Vor allem Deutschland würde von einem liberaleren, effizienten, britischeren Europa profitieren. Deutschlands Positionen für mehr Haushaltssolidität und Wettbewerbsfähigkeit in Europa werden mit Londons Vorstoß ausdrücklich unterstützt. Gerade wer das Haus Europa wirklich will, sollte seinen Bauplan genau hinterfragen.

Deutschland müsste aufgrund seiner eigenen föderalen Struktur vor allem ein subsidiär, von unten nach oben aufgebautes Europa (so wie es Cameron fordert) und keinen zentralen Bürokratiestaat befürworten. Dieser aber breitet sich seit einigen Jahren immer weiter aus, weil die EU-Bürokratie sich ihre Betätigungsfelder selbst schafft und permanent ausweitet. Von der Krümmungsgrad-Regel von Gurken über die Durchmesserverordnung von Äpfeln bis hin zur Regelung, dass die Pizza Napoletana einen Durchmesser von höchstens 35 Zentimetern haben darf. Cameron fordert daher völlig zu Recht eine Europäische Union, die schlank, unbürokratisch, demokratisch legitimiert, marktwirtschaftsfreundlich und föderal daherkommt, aber eben nicht als Bürokratenversorgungsanstalt und Schulden-Umverteilungsmaschine.

Der Brite lacht gerne zum Schluss

Für Cameron bedeutet die vermeintliche Niederlage auf dem Gipfel in Wahrheit eine dreifache Chance. Zum einen steht sein Land plötzlich hinter ihm, er punktet also innenpolitisch. Zum anderen kann er jetzt für sein Land allerlei herausverhandeln. Wie weiland Thatcher ihren Britenbonus bekam, so hat Cameron sich jetzt in eine Position gebracht, dass Europa ihm etwas geben muss, um Großbritannien in der EU zu halten. Jean-Claude Juncker habe ja in seinem Wahlprogramm ausdrücklich davon gesprochen, er wolle Großbritanniens Sonderwünsche berücksichtigen, mahnt Cameron heute: "Wir wollen ihn daran messen."

Und zum Dritten könnte er langfristig zum eigentlichen Avantgardisten der EU-Reformen aufsteigen. Die EU wird ihren Reformweg früher oder später gehen müssen, um nicht an sich selbst zu ersticken. Dann wird Cameron möglicherweise als der Vorreiter einer Erneuerungsbewegung gewürdigt. Denn in allen europäischen Staaten wächst der Druck auf die politische Klasse, die Planstellen-Sozialisten-EU endlich bürgernah zu öffen. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. In London lacht man gerne ganz zuletzt.

Quelle: ntv.de

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