Ampel erzählerisch am Ende Unter Pistorius wäre das alles nicht passiert


Sehnsucht nach ein wenig kommunikativer Führung: Scholz und Pistorius im Dezember beim SPD-Parteitag.
(Foto: IMAGO/Political-Moments)
In Deutschland baut sich eine braune Welle auf und es fühlt sich an, als gäbe es nichts, das diese Welle noch brechen könnte - weil die SPD ihren besten Mann nicht einwechselt.
Die AfD liegt in allen drei Ländern, in denen dieses Jahr gewählt wird, vorn. Rechtsextreme kontaminieren legitime Bauernproteste. Nun wird dank Recherchen von "Correctiv" bekannt, dass Politiker der AfD, der baldigen Partei der "Werteunion" und damit wohl auch der CDU mit faschistischen Vordenkern und Unternehmern die Deportation von Millionen Menschen debattierten - von einem "Masterplan Remigration" ist die Rede.
Der schale Trost: Deutschland befindet sich in einem globalen Trend der Faschisierung. Aus Italien erreichten uns kürzlich Bilder, auf denen Hunderte Rechtsextreme die Arme für den römischen Gruß erhoben, in den Niederlanden erringen Rechtspopulisten unter Geert Wilders einen Erdrutschsieg. In den Vereinigten Staaten hat ein Donald Trump gute Amtsaussichten, der sich in den letzten Jahren in der Hass-Diaspora noch einmal radikalisiert hat.
"In Deutschland leben inzwischen zwei Nationen auf demselben Territorium. Viele würden dem zustimmen, in privaten Zirkeln, wenn man sie darauf anspricht. Die meisten Menschen hier sind Menschen, die in Deutschland leben - aber sind keine Deutschen im eigentlichen Sinne des Wortes." Das ist, auf Deutschland angewendet, ein Satz von Glenn Ellmers, ein Vordenker der Rechten in den USA. Er meine nicht nur Einwanderer, schrieb Ellmers vor zwei Jahren in seinem viel beachteten Essay, er meine auch Menschen, die zwar "technisch gesehen" Bürger der Vereinigten Staaten seien, aber eben keine echten Amerikaner. Weil sie nicht an die amerikanischen Prinzipien, Traditionen und Ideale glaubten, die Amerika als Nation und Volk ausmachten.
Es beginnt mit dem Genderverbot
Das ist der brutale Traum der Rechtsextremen, auch in Deutschland: Vorschreiben können, wer Deutscher ist und wer nicht, anhand von kampfkulturellen Kriterien, die natürlich sie, die Rechtsextremen, für das Volk definieren. Es ist eine Idee, die in der Deportation von unpassenden Deutschen nach Afrika endet, aber damit beginnt, dass man in der AfD und der Werteunion so gern mit blonden, blauäugigen Menschen wirbt, die in traditionellen Familienstrukturen leben und vorzugsweise mit den Händen arbeiten.
Es beginnt auch damit, dass man das Gendern verbietet: Hoheit über Sprache ist ein Merkmal von Autokratien. Deshalb ist es überhaupt kein Zufall, dass auch ein Vorstandsmitglied des erzmuffigen "Vereins der Deutschen Sprache" im Hotel herumstand, als der rechtsnationale Vordenker Martin Sellner seine Deportationsideen ventilierte - da kann der VDS sich distanzieren, so viel er will.
Alles also recht rechtsextrem gerade und die beiden Volksparteien verschlafen ihre Chance der Geschichte: Die Bundes-CDU hat sich, als hätte sie nie regiert, bei den Farmern untergehakt. Es ist ein wenig unangenehm zu sehen, wie der frühere Blackrock-Aufsichtsratschef und Rechtsanwalt, CDU-Chef Friedrich Merz, derzeit mit der ihm überreichten metaphorischen Mistgabel hantiert.
Die Ampel ist erzählerisch am Ende
Die SPD-Fraktion wiederum traf sich diese Woche mit dem Bundeskanzler im Otto-Wels-Saal des Reichstagsgebäudes. Da hätte ihr der Wels'sche Geist doch eigentlich in die Glieder fahren müssen: Wels war der Politiker, der vor Nazis die berühmte letzte Rede im Reichstag hielt, mit den Worten: "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht." Angeblich hatte er damals aus Sorge vor Verhaftung eine Giftampulle bei sich.
Doch die SPD ist derzeit die vielleicht stillste Partei im politischen Berlin. Zu drei kleinen Tweets konnte sich der Bundeskanzler angesichts der Deportationskonferenz aufraffen. "Wir lassen nicht zu, dass jemand das 'Wir' in unserem Land danach unterscheidet, ob jemand eine Einwanderungsgeschichte hat oder nicht." Der Satz holpert, er klingt hohl, er klingt wie immer.
Die ganze Ampel hat dem Rechtsruck in Deutschland nichts entgegenzusetzen, sie ist blank. Ihre Ursprungserzählung, der gesellschaftliche "Fortschritt" als Antithema zum Muff der CDU-dominierten GroKo, ist in den Multikrisen verpufft. Auch Scholz' Image des verschwiegenen, aber hochpatenten Premiumverwalters ist zerschellt, nach dilettantischem Umgang mit dem Heizungsgesetz, einem verfassungswidrigen Haushalt und einer plötzlichen und zugleich wirkungslosen Kehrtwende vor der Bauernlobby. Das alte Mittel Geldgeschenke steht nicht mehr zur Verfügung, dank Karlsruhe. Die Koalition ist erzählerisch komplett am Ende.
Nie geschwitzt und nie gearbeitet
Das ist ein Problem. Kommunikation ist nun wirklich nicht alles, aber ohne sie geht das Erreichte - die Ampel hat immerhin mehr als die Hälfte ihrer Vorhaben umgesetzt - unter. Eine erfolgreiche Sachpolitik bildet die Stützpfeiler, aber ohne die Brücke gibt es keine Verbindung zwischen Regierung und Regierten. Der Kanzler scheint das nicht zu verstehen: Diese Brücke fehlt, es stehen nur ein paar Pfeiler und er kümmert sich nicht.
Die erzählerische Hoheit hat währenddessen ein Chor, der die deutsche Gesellschaft spalten will: Der Präsident des Bauernverbands Joachim Rukwied schimpfte kürzlich, die Ampel betreibe "Politik aus der Berliner Blase". Die Regierung werde beraten von "Menschen, die noch nie gearbeitet, noch nie geschwitzt haben". Als hätte niemand etwas geleistet, der noch keine Kuh gemolken hat.
Es ist ein beliebter Sound, mit dem sich auch die Wertigkeit von Bauernprotesten von jener der Klimakleber unterscheiden lässt. Es geht nicht mehr um Politik, Streit und Kompromiss, es geht um die richtigen Menschen und die falschen. Rukwied kokettiert leichtfertig mit dem bei Nationalisten beliebten Sehnsuchtsbild der ehrlichen, einfachen Arbeit im Gegensatz zur Geisteswelt, Latzhose statt Anzug, Heuballen statt Konferenzspinne. Es ist ein fahrlässiger Griff in den Giftschrank - und das, obwohl die Bauern gerade der AfD und ihrem antieuropäischen Kurs eigentlich mehrheitlich fern stehen, wie unter anderem die F.A.Z. analysiert.
Mit Pistorius wäre das alles nicht passiert
Kann diesem geistesfeindlichen Unsinn bitte jemand laut widersprechen? Scholz soll nun versprochen haben, vom "Fraktions-Olaf zum Draußen-Olaf" zu werden, aber ähnliches hat er auch über Führung gesagt. War da nicht ein "wildes Gerücht", dass die SPD Scholz durch Boris Pistorius ersetzen wollte?
Die Sehnsucht nach ein wenig kommunikativer Führung dringt jedenfalls in die unwahrscheinlichsten Winkel: Als ich kürzlich mit anderen arbeitsscheuen Insassen der Berliner Bubble nichtschwitzend bei einer krankheitsbedingt verspäteten Weihnachtsfeier - typisch Schwächlinge! - saß, sagte einer den durchaus etwas schwitzigen Satz: "Von Boris Pistorius würde ich mich gern von vorn bis hinten durchregieren lassen!" Ja, zupackender wäre das wohl, mit einem Bundeskanzler Boris Pistorius.
Pistorius würde nicht mit dürren Tweets auf die Rechtsextremen reagieren. Unter Pistorius hätten die Faschisten sich gar nicht erst ins Hotel getraut! Ein Pistorius hätte Strahlkraft wie ein Batman-Scheinwerfer, man wüsste, da passt einer auf. Ein Pistorius würde uns über den Rand seiner RayBan streng ansehen, den Kopf senken und stirnrunzelnd brummen, ob das denn bitte unser gottverdammter Ernst sei.
Aber Pistorius macht ja derzeit nur Verteidigung. Als Berliner Medientype habe ich allmählich Angst, dass sich die Bauern doch noch bei den Rechtsextremen unterhaken und mich zurück in die ländliche Heimat deportieren. Statt zu träumen, werde ich also an diesem Wochenende mit meinen zarten prenzlauerberger Händen schwitzend ein Küchenregal zusammenschrauben.
Ich bin schon gespannt, wie sich das anfühlt, wenn ich das erste Mal in meinem Leben richtig arbeite.
Quelle: ntv.de