Betreuungsgeld-Abstimmung gescheitert "Abgeordnete ducken sich weg"
15.06.2012, 21:27 UhrDas Betreuungsgeld ist vorerst gescheitert - nicht, weil die Regierung sich eines besseren hat belehren lassen, sondern weil die Opposition eine Abstimmung verhinderte. Die Abgeordneten blieben der Abstimmung einfach fern. Und weil auch bei der Koalition viele Sitze leer blieben, war der Bundestag nicht beschlussfähig. Nun fragen sich die Kommentatoren: Ist das ein faires Verhalten der Opposition?

Der Mannheimer Morgen beleuchtet noch einmal die eigentlichen Gründe, aus denen die Regierung das Betreuungsgeld einführen wollte: "Natürlich ist es löblich, seinem Nachwuchs zuliebe zu Hause zu bleiben. Doch der Staat kann es sich nicht leisten, hier mit der Gießkanne materielle Anerkennung zu verströmen. Die CSU hat das Betreuungsgeld aus parteitaktischen Gründen ersonnen. Um bei Konservativen mit traditionellem Familienbild zu punkten und die sich moderner gebende CDU wie die FDP zu triezen. Im internen Kuhhandel hat sich die Koalition das Projekt zu Eigen gemacht, obwohl es außerhalb alle maßgeblichen Stimmen als kontraproduktiv ablehnen. Wenn die "Herdprämie" nun wegen parlamentarischer Sandkastenspiele verschoben werden muss, passt das gut ins Bild."
Die Mittelbayerische Zeitung aus Regensburg sieht keinen Grund, das Verhaltend er Opposition zu beanstanden: "Mit einer Finte gelang es der Opposition, den vorgegebenen Marsch durch die oberste Volksvertretung erst einmal zu durchkreuzen. Undemokratisch oder gar ein Missbrauch von Parlamentsrechten, wie von schwarz-gelber Seite gezetert wird, lag in diesem Fall nicht vor. Vielmehr haben die beiden Regierungskoalitionen die einfache Wahrheit missachtet, wer ein Gesetz durch den Bundestag bringen will, muss auch für die nötige Mehrheit sorgen. Zu jeder Zeit. Der Winkelzug von SPD, Grünen und Linken ging offenbar nur auf, weil auch so manchem Betreuungsgeld-Kritiker bei Schwarz-Gelb die Aktion gar nicht unrecht war."
Ähnlich sieht es auch die Nordwest-Zeitung aus Oldenburg: "Die Führungen von Union und FDP haben versagt. Dass beim hochbrisanten Thema Betreuungsgeld ein Drittel der schwarz-gelben Parlamentarier lieber ins Wochenende fährt, statt darüber im Parlament zu diskutieren, sagt viel über den offensichtlichen Stellenwert dieses Themas. Schwarz-gelbe Abgeordnete ducken sich weg, tauchen ab. Motto: Nur nichts zu tun haben mit dem ungeliebten CSU-Projekt."

(Foto: dapd)
Für die Süddeutsche Zeitung aus München ist der Vorfall nicht nur das Ergebnis von Tricksereien, sondern von handfesten Problemen in der Koalition: "Der Hammel-Trick hätte nicht geklappt, wenn die Abgeordneten der Regierungsparteien da gewesen wären. Dass sie nicht da waren, ist vorderhand ein Organisationsverschulden der Parlamentarischen Geschäftsführer; sie müssen für Anwesenheit sorgen. Die Nichtpräsenz ist aber vor allem Indiz und Symbol: Ein Teil der Regierungsabgeordneten will das Gesetz nicht."
Die Heilbronner Stimme glaubt, dass die Regierung noch mehr Probleme durch das Gesetz bekommen könnte: "Selten, nicht einmal bei der Verlängerung der Atomlaufzeiten, war eine Reform weithin so unbeliebt. Umfragen ergeben außerhalb Bayerns ein klares Nein. Warum eigentlich führt der Freistaat das Ganze nicht im Alleingang ein? Es wäre eine Befriedung, würde aber wohl den weiß-blauen Haushalt überfordern. Die Lage ist verfahren, Wiedervorlage nach der Sommerpause. Das Thema wird der Kanzlerin noch im Wahljahr um die Ohren fliegen, gewinnen kann damit nur Horst Seehofer."
Aber sollte die Opposition diese Lage schamlos ausnutzen? Das Obermaintagblatt aus Lichtenfels hat Bedenken: "Die Opposition hat die CSU ausgetrickst und die Lacher auf ihrer Seite. Aber sie hat für diesen billigen Triumph den parlamentarischen Brauch missachtet, Zufallsmehrheiten nicht auszunutzen. Das wird ein Nachspiel haben."
Die Rhein-Zeitung, die in Koblenz und Mainz bedauert, dass nun keine offizielle Debatte im Bundestag stattfinden konnte: "126 Abgeordnete der Regierungskoalition sind nicht erschienen. Manche werden angesichts der ersten Lesung leichtfertig erwogen haben, dass ihre Anwesenheit nicht unbedingt notwendig sei. Andere aber haben damit auch ihren Unmut über das Gesetz zum Ausdruck gebracht. Was bedeuten würde, dass die Koalition beim Betreuungsgeld so gut wie nicht mehr handlungsfähig ist. Jede Fraktion versucht jetzt, den Gegner für die verhinderte Debatte verantwortlich zu machen. Beim Bürger aber kommt an, dass im Bundestag offenbar mit allen Tricks Debatten verhindert werden. Stolz kann darauf niemand sein - auch nicht die Opposition."
"Der Bundestag muss ein Ort der Fairness und der Debatte sein, in dem fiese Tricks keinen Platz haben", findet auch die Frankfurter Rundschau, fragt aber: "Hat die Opposition dagegen verstoßen, hat sie mit einem dreckigen Foulspiel den Gefrierpunkt der demokratischen Kultur erreicht, wie CSU-Generalsekretär Dobrindt mehr kurios denn furios formuliert? Man kann das so sehen. Man kann es aber auch als das gute Recht der Opposition betrachten, die Handlungsunfähigkeit einer zerstrittenen Regierungskoalition einmal nach allen Regeln der Kunst vorzuführen. (...) Die von der Koalition zur Schau gestellte Empörung rührt vor allem aus dem Ärger darüber, sich diese Blöße gegeben zu haben. Man könnte auch sagen: Selber Schuld."
Die Mitglieder der Regierungsfraktionen sehen das anders und greifen die Opposition scharf an. Dazu bemerkt der Kölner Stadt-Anzeiger: "Die von der Koalition zur Schau gestellte Empörung rührt vor allem aus dem Ärger darüber, sich diese Blöße gegeben zu haben. Jedermann kann sehen: Die haben ihren Laden nicht im Griff, eine Riesenblamage für Schwarz-Gelb. Die Koalition hat darauf verzichtet, eine Sondersitzung des Bundestages zu erzwingen, um vor der Sommerpause doch noch mit dem Betreuungsgeld voranzukommen. Sie sollte etwas viel Besseres tun: Auf das ganze Gesetz verzichten."
So ähnlich fällt das Fazit vieler Zeitungen aus. Das Delmenhorster Kreisblatts formuliert es drastisch: "Das aus unsäglichem Parteien-Geschacher entstandene Betreuungsgeld ist zu einem Symbol geworden: Die Koalition ist ein Fall fürs betreute Regieren."
Quelle: ntv.de, tes